Politik/Ausland

Erneut schwere Kämpfe in der Ostukraine

Bei den Gefechten im Osten der Ukraine sind nach Behördenangaben mindestens 13 Menschen getötet worden. Unter den Opfern in der umkämpften Stadt Gorliwka nördlich von Donezk seien zwei Kleinkinder, erklärte die Regionalverwaltung am Sonntag. Die Bemühungen zur Versorgung der Verletzten würden durch "andauernde Feuergefechte" behindert. Ein ukrainischer Militärsprecher hatte zuvor berichtet, die prorussischen Separatisten würden Wohnviertel in der 250.000-Einwohner-Stadt mit Mehrfachraketenwerfern vom Typ BM-21 "Grad" (Hagel) beschießen.

Gekämpft wurde auch an mehreren Abschnitten der Grenze zu Russland. Die Separatisten eroberten nach eigenen Angaben den Grenzübergang Marinowka im Süden des Gebiets Donezk. Dort hatte die ukrainische Armee bisher einen schmalen Landstreifen verteidigt, um ein Eindringen von Waffen und Kämpfern aus Russland zu verhindern.

Experten sagen Besuch ab

Unbewaffnete niederländische und australische Polizisten und OSZE-Beobachter haben einen geplanten Besuch an der Absturzstelle des malaysischen Passagierflugzeugs im Osten der Ukraine am Sonntag aus Sicherheitsgründen abgesagt.

"Vor Ort wird weiter gekämpft, wir können das Risiko nicht eingehen", sagte der stellvertretende Leiter der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Schweizer Alexander Hug. Die Sicherheitslage sei "inakzeptabel für unsere unbewaffnete Beobachtermission".

Beweisfotos für russischen Artilleriebeschuss

Nach Anschuldigungen zu einem militärischen Eingreifen Russlands auf ukrainischem Boden haben die USA am Sonntag vier Fotos vorgelegt, die die Vorwürfe beweisen sollen. Die vom Geheimdienst stammenden und vom Außenministerium in Washington veröffentlichten Bilder zeigen u.a. mehrere Raketenwerfer und Haubitzen an der Grenze auf russischem Gebiet sowie Einschlagkrater auf der ukrainischen Seite. Weiters ist Artillerie auf ukrainischem Boden zu sehen, die Russland nach US-Angaben den prorussischen Separatisten in der Ostukraine zur Verfügung gestellt hat.

Erstes Absturz-Opfer identifiziert

Unterdessen ist ein erstes Opfer des Flugzeugabsturzes in der Ostukraine identifiziert worden. Wie niederländische Medien am Samstag unter Berufung auf die Regierung berichteten, handelt es sich um einen Niederländer. Angaben zu Person und Geschlecht wurden nicht gemacht. Die Angehörigen und der Bürgermeister der Heimatgemeinde seien informiert worden.

Anschläge auf Bürgermeister

Am Samstag sind in der Ukraine Anschläge auf die Bürgermeister zweier Großstädte verübt worden. Der Bürgermeister der zentralukrainischen Stadt Krementschuk, Oleg Babajew, wurden nach Angaben des Innenministeriums in seinem Auto aus einem anderen Wagen heraus erschossen. Der bisher unbekannte Täter habe drei Schüsse aus einer Waffe mit Schalldämpfer abgegeben, sagte ein Ministeriumsvertreter.

Angaben zum Hintergrund der Bluttat gab es zunächst nicht. Bei einem Attentat in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) wurden nach den Informationen des Innenministeriums Granaten am Freitagabend auf das Haus des dortigen Bürgermeisters Andrej Sadowy (Andrij Sadowij) abgefeuert. Er sei nicht zu Hause gewesen. Den Angaben nach wurde niemand verletzt. Der parteilose Sadowy gilt als einer der einflussreichsten Politiker in der Westukraine. Beide Anschläge hätten aber wahrscheinlich nichts miteinander zu tun.

Da gab es so etwas wie Hoffnung. Blendet man den Krieg in der Ostukraine aus, das Sterben, die Verletzten, das Töten, so hätte man glauben können, die Ukraine sei dabei, sich selbst neu zu erfinden. Eine politische Elite, die den Zusammenhalt predigt; ein Volk, das alle Wut über verprasste Steuergelder beiseite lässt und für den Aufbau der Armee spendet; ein Präsident, der mit dem Volk spricht und sich als Erster unter Gleichen gibt.

Aber die Ukraine hat sie wieder, ihre altbekannte Politik im Freistilringerstil. Premier Arseni Jazenjuk ist zurückgetreten, die Regierungskoalition im Parlament ist zerfallen, und Streit gibt es sowohl über die Mobilmachung weiterer Rekruten als auch über das Budget, die Finanzierung der Armee und die Auflösung der Fraktion der kommunistischen Partei – sie soll, so der Vorwurf, mit den Separatisten in der Ostukraine gemeinsame Sache gemacht haben.

Die Regierung solle weitermachen, der Zerfall der Koalition bedeute nicht, dass auch die Regierung tot sei, so Präsident Petro Poroschenko in einem Brief an den Parlamentspräsidenten Turchinow. Offiziell heißt es freilich, der Zerfall der Koalition mache nur den Weg frei für Neuwahlen im Herbst – von denen fraglich ist, wie sie im Krisengebiet im Osten abgehalten werden sollen.

Der Streit innerhalb der politischen Elite erregt auch bereits Unmut auf den Straßen. Nach Bekanntwerden der neuerlichen Mobilmachung verbarrikadierten einige Dörfer in den Karpaten ihre Zufahrtsstraßen. Der Tenor: Es wurde bereits genug gestorben. Und auch die Ströme an Flüchtlingen innerhalb der Ukraine sorgen bereits für Konflikte. Laut UNO wurden bisher 250.000 Menschen vertrieben. Knapp 100.000 davon sollen innerhalb der Ukraine auf der Flucht sein – und sind dabei auf Verwandte oder Netzwerke engagierter Helfer angewiesen. Staatliche Stellen spielen dabei eine minimale Rolle.

All das passiert angesichts einer nach wie vor drohenden Staatspleite und eines Aufstandes in der Ostukraine, der die politischen wie wirtschaftlichen Beziehungen zum großen Nachbarn Russland, ebenso wie das Staatsbudget, schwer belastet. Am Freitag verhängte Russland ein Importverbot für ukrainische Milchprodukte.

Neue EU-Sanktionen

Zu einem ähnlichen Schritt scheint sich auch die EU durchgerungen zu haben: Nämlich Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Am Freitag hieß es in Brüssel unter Berufung auf nicht näher genannte Diplomaten, die Vertreter aller Mitgliedsstaaten hätten sich grundsätzlich auf neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland geeinigt. Dabei ginge es um eine Erschwerung des Zugangs zu EU-Finanzmärkten, ein Verbot künftiger Waffenexporte, ein Ausfuhrverbot für Hightech-Produkte sowie um Exportbeschränkungen für Spezialanlagen zur Öl- und Gasförderung. Bis kommenden Montag soll die EU-Kommission konkrete Vorschläge vorlegen, über die am Dienstag abgestimmt werden soll.

Noch immer liegen Leichen an der Absturzstelle von MH17 und die Ermittler haben weiter keinen freien Zugang: Wegen der Behinderungen der Bergungsarbeiten wollen Australien und die Niederlande nun eigene Sicherheitskräfte zum Absturzort der malaysischen Boeing in die Ostukraine schicken. Australiens Premier Tony Abbott sprach am Freitag von 190 Soldaten und Polizisten, die "zum Teil bewaffnet sein könnten". Den Haag bereitet das Entsenden von 40 Polizisten vor. Laut Abbott soll es eine "humanitäre Mission" werden, deren Bedingungen in einem Abkommen mit der Regierung in Kiew festgelegt würden. Das Ziel bestehe darin, die 28 australischen Insassen der Maschine, die zu den insgesamt 298 Toten gehören, in die Heimat zu bringen.

Das Abkommen mit der ukrainischen Regierung stehe kurz vor dem Abschluss, sagte Abbott. 90 australische Polizisten wurden bereits nach Europa verlegt, hundert weitere Sicherheitskräfte, dieses Mal Soldaten, sollen laut Abbott folgen. Die niederländischen Polizisten sollen nur zum Teil bewaffnet sein. Die australischen Sicherheitskräfte sollen sich an einem internationalen Einsatz beteiligen, der am Absturzort nach verbliebenen Todesopfern und Hinweisen auf die Absturzursache sucht. Ein Großteil der Leichen wurde inzwischen in die Niederlande ausgeflogen, die die Leitung des Einsatzes übernommen haben. Die Niederlande bereiteten nach Angaben von Ministerpräsident Mark Rutte die Entsendung von 40 Polizisten und 23 Ermittlern vor.

Bei dem Absturz der Boeing 777-200 über dem Konfliktgebiet waren vor einer Woche 298 Menschen getötet worden. Die meisten stammten aus den Niederlanden. Dorthin werden die Opfer übergeführt. Die Suche nach den Leichen und die Ermittlungen in der Osukraine wurden bisher erheblich dadurch beeinträchtigt, dass das Absturzgebiet von prorussischen Separatisten kontrolliert wird, die die ukrainischen Sicherheitskräfte bekämpfen.

Neue Wrackteile gefunden

Mehr als eine Woche nach dem Absturz des Malaysia-Airlines-Flugzeugs haben Ermittler ein neues großes Wrackteil sowie weitere Leichen gefunden. Der Fundort liegt unweit der anderen Wrackteile. Die Ermittler - darunter zwei australische Diplomaten und ein Forensiker - seien zunächst nicht dafür ausgerüstet gewesen, die Leichen zu bergen, berichteten der Fernsehsender ABC und die Zeitung Sydney Morning Herald am Freitag.

In einem dichten Waldstück sei man plötzlich auf den großen Rumpf-Wrackteil gestoßen, sagte Michael Bociurkiw von der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dem australischen Sender ABC. "Es schien fast so, als sei er wie aus dem Nichts aufgetaucht, denn es waren keine abgebrochenen Äste oder ähnliche Anzeichen zu sehen, die darauf hinweisen, dass ein großes Stück Rumpf dort zu Boden gefallen ist", sagte Bociurkiw. Sitze und Fenster sollen noch intakt sein. Auf besonderes Interesse bei den Ermittlern sei das Cockpit der abgestürzten Boeing 777-200 gestoßen. Dort seien "sowohl persönliche als auch professionelle Gegenstände der Piloten" noch vorhanden. In dem Absturzgebiet sei nach dem Fund der neuen Leichen und Leichenteile eine detaillierte Überprüfung des Geländes vonnöten, um sicherzustellen, dass nichts übersehen werde, sagte Bociurkiw weiter.

Ukraine sagt Übergabe von Satellitenbildern zu

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat die Übergabe von Satellitenbildern zugesagt, auf denen der Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH17 genau dokumentiert sein soll. "Für eine transparente Untersuchung des Terroraktes vom 17. Juli werden die Aufnahmen internationalen Ermittlern überlassen", teilte das Präsidialamt in Kiew am Freitag mit. Auf den Bildern sei auch zu sehen, wohin die Wrackteile der zerbrochenen Boeing 777-200 gefallen seien. "Es kann also bewiesen werden, dass die Terroristen nach dem Absturz Trümmer entfernt haben", hieß es. Die Führung in Kiew wirft den Separatisten die Vernichtung von Beweismitteln vor.

Unklar war, woher die Satellitenbilder stammen. Die Ex-Sowjetrepublik verfügt offiziell nicht über eigene Flugkörper zur Aufklärung.

Das russische Luftfahrtamt hat die Ukraine mit Nachdruck aufgefordert, Beweise für den angeblichen Abschuss der malaysischen Passagiermaschine vorzulegen. Die Führung in Kiew habe bisher nichts unternommen, um Splitter einer möglichen Rakete zu finden, sagte Behördenchef Alexander Neradko am Freitag in Moskau. "Die Ukraine ist internationalen Regeln zufolge verpflichtet, eine solche Suche zu organisieren", sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Neue Vorwürfe

Unterdessen haben die USA in der Ukraine-Krise neue Vorwürfe gegen Russland erhoben. Es gebe Anzeichen dafür, dass russische Militärs mit Artillerie von russischem Gebiet auf ukrainische Einheiten schössen, sagte die Sprecherin des Washingtoner Außenministeriums, Marie Harf. Sie berief sich auf Hinweise von Geheimdiensten befreundeter Staaten. Der Westen und die Regierung in Kiew beschuldigen Russland, nicht stark genug auf die Separatisten einzuwirken, um den Konflikt im Osten des Landes zu entschärfen. US-Außenamtssprecherin Harf warf der Regierung in Moskau am Donnerstag vor, weitere Raketenwerfer an die Aufständischen liefern zu wollen. Zugleich nähmen russische Truppen von russischem Gebiet aus ukrainische Verbände mit Artillerie unter Beschuss.

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Die USA verdächtigen die Separatisten, das malaysische Flugzeug abgeschossen zu haben. Russland und die Rebellen haben den Verdacht dagegen auf das ukrainische Militär gelenkt. Auch die malaysischen Ermittler am Absturzort gehen nach OSZE-Angaben von einem Raketentreffer aus. Dafür sprächen stark durchlöcherte Wrackteile, sagte Michael Bociurkiw von der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag demZDF.

EU-Sanktionen

Die Europäische Union erweiterte unterdessen ihre Liste von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen Vertreter Russlands und der Separatisten. Mit den neuen Strafmaßnahmen erhöht sich die Zahl der betroffenen Personen in Russland und der Ostukraine auf 87, wie Diplomaten sagten. Erstmals wurden auch 18 Organisationen und Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Sie dürfen in der EU keine Geschäfte mehr machen. Über andere Verschärfungen der EU-Sanktionen soll später entschieden werden. Moskau hat reagiert und verbietet die Einfuhr von Milch und Käse aus der Ukraine.