Politik/Ausland

Erdogan nun offiziell türkischer Staatschef

Recep Tayyip Erdogan ist nun offiziell der Präsident der Türkei. Am Donnerstag wurde er bei einer Sondersitzung im Parlament in Ankara vereidigt, einen Tag nachdem der neue Premier Ahmet Davutoglu die Führung der Partei AKP übernahm. Der 60-Jährige ist der erste direkt vom Volk gewählte Präsident des Landes. Abgeordnete der größten Oppositionspartei CHP verließen demonstrativ den Saal.

Erdogan folgt Abdullah Gül nach, der seine Funktion - gemäß der derzeitigen türkischen Verfassung - eher zeremoniell anlegte. Doch Erdogan hat andere Pläne: Er will ab 2015 im Land am Bosporus ein Präsidialsystem installieren, um mehr Kompetenzen wahrzunehmen. Bis dahin soll Gefolgsmann Davutoglu Erdogans Kurs in Richtung einer "neuen Türkei" (siehe unten) erfüllen. Erdogan sieht die Türkei als Hegemonialmacht in der Region. Doch in den vergangenen Jahren wurde die Kritik der Opposition und der urbanen Bevölkerung an seinem autoritären Kurs als bisheriger Premier immer lauter. Dennoch wählten ihn bei der Wahl am 10. August knapp 52 Prozent der Türken.

Die türkische Opposition befürchtet eine systematische Aushöhlung der Gewaltenteilung, zumal Erdogan seit seinem Amtsantritt als Regierungschef vor elf Jahren als eigentlicher starker Mann der Türkei gilt. Sein fünfjähriges Mandat als Präsident kann einmal verlängert werden. Nach derzeitiger Mehrheitslage darf sich Erdogan also gute Chancen ausrechnen, bis 2024 an der Staatsspitze zu stehen.

Porträt Erdogan:

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Der neue türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Premier Ahmet Davutoglu wollen eine "neue Türkei" schaffen: Ein wirtschaftlich starkes Land, das als moderner muslimischer Staat eine Führungsrolle in der Region übernimmt und sich vom Westen nichts sagen lässt. Erdogan wird in dieser "neuen Türkei" das Kommando führen, für Davutoglu bleibt kaum gestalterischer Spielraum. Als Präsident will Erdogan mit Davutoglus Hilfe das Land regieren. Kurzfristiges Ziel sind Verfassungsänderungen zur Errichtung eines Präsidialsystems; nach den Parlamentswahlen 2015 soll es so weit sein.

Bis dahin will Erdogan das Land aus einer Position heraus lenken, die von der derzeitigen Verfassung nicht vorgesehen ist. Der türkische Staatschef hatte bisher vor allem zeremonielle Aufgaben, doch Erdogan will regieren wie Barack Obama in den USA oder François Hollande in Frankreich. Weder die schwache Opposition noch die größtenteils gefügig gemachten Medien werden ihm dabei in den Arm fallen. Nur das Verfassungsgericht könnte ihm Hürden in den Weg stellen.

Auf dem Fundament des Präsidialsystems will die "neue Türkei" auf die Weltbühne treten. Sie tut das mit dem Anspruch, gleichberechtigter Partner der Großmächte zu sein. Von der Türkei unter Präsident Erdogan kann keine Unterordnung unter EU-Regeln erwartet werden. Ankara wird die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel zwar nicht abbrechen, aber auch nicht energisch vorantreiben.

Gute Beziehungen zu den USA bleiben von höchster Bedeutung, doch im Nahen Osten wird sich die Türkei von eigenen Interessen leiten lassen. Dabei spielt auch die Erinnerung an das Osmanische Reiche eine Rolle: Nach seiner Nominierung als neuer AKP-Chef sprach Davutoglu ausdrücklich von einer "Restauration" türkischer Stärke.

Korrekturen sind nötig

Um dieses Ziel zu erreichen, muss Premier Davutoglu aber Fehler des Außenministers Davutoglu korrigieren. So steht die Türkei unter Druck, weil sie zeitweise islamistische Extremisten in Syrien unterstützte. Die Beziehungen zu Israel sind an einem Tiefpunkt angelangt, nachdem Erdogan die israelische Gaza-Politik mit dem Vorgehen der Nazis verglich. In Ägypten verweigert die Türkei die Zusammenarbeit mit Präsident Abd al-Fattah Sisi, weil dieser durch den Sturz von Vorgänger Mohammed Mursi an die Macht kam. Wenn Extrem-Positionen wie diese nicht revidiert werden, kann die Türkei ihren Traum von der Führungsmacht begraben. Ob die Notwendigkeit zu Korrekturen erkannt wird, ist fraglich – weil Selbstkritik ist im System Erdogan nicht vorgesehen.