Politik/Ausland

Flugzeug-Entführung: EU droht Belarus mit Sanktionen. KGB-Agenten an Bord?

Die EU hat die erzwungene Landung eines Linienflugs durch weißrussische Behörden in Minsk scharf verurteilt. Sie droht mit Sanktionen gegen die Verantwortlichen. Zudem fordert der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen aller 27 EU-Staaten die sofortige Freilassung des Journalisten Roman Protassewitsch. Dessen Festnahme sei ein weiterer Versuch der weißrussischen Behörden, alle oppositionellen Stimmen zum Schweigen zu bringen.

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Behörden der autoritär regierten Republik Weißrussland (Belarus) hatten am Sonntag ein Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius in Minsk zur Landung gezwungen, wie die Fluglinie Ryanair bestätigte. An Bord der Maschine war nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna der vom weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko international gesuchte Blogger Roman Protassewitsch. Er wurde in Minsk zum Verlassen der Maschine gezwungen und festgenommen.

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Thema auf Sondergipfel

Dieses Vorgehen wird Thema beim EU-Sondergipfel, der am Montagabend in Brüssel beginnt. Die EU wird die Folgen dieser Handlung prüfen, einschließlich "Maßnahmen gegen die Verantwortlichen". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von einer "Entführung" der Maschine durch Weißrussland, die sanktioniert werden müsse.

"Die Europäische Union darf nach der erzwungenen Landung eines kommerziellen Flugzeugs zur Verhaftung eines Journalisten in Belarus nicht zur Tagesordnung übergehen, denn das ist absolut inakzeptabel", erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz im Vorfeld des EU-Gipfels.

KGB-Agenten an Bord?

An Bord der Ryanair-Maschine, die von belarussischen Behörden zur Landung gezwungen wurde, waren nach Ansicht von Unternehmenschef Michael O'Leary auch Agenten des Geheimdienstes KGB. „Es wirkt, dass es die Absicht der Behörden war, einen Journalisten und seine Reisebegleiterin (aus dem Flugzeug) zu entfernen“, sagt der Chef der irischen Billigfluglinie am Montag dem irischen Radiosender Newstalk. „Wir vermuten, dass auch einige KGB-Agenten am Flughafen in Minsk abgeladen wurden.“

Auch NATO eingeschaltet

O'Leary sagt, es handle sich um einen „Fall von staatlich unterstützter Entführung, (...) staatlich unterstützter Piraterie“. Ryanair verurteilt die „rechtswidrigen Handlungen der belarussischen Behörden“ als „Akt der Luftpiraterie“. „Dies wird jetzt von den EU-Sicherheitsbehörden und der Nato behandelt“, teilte das Unternehmen mit. Ryanair arbeite mit der EU und dem Verteidigungsbündnis zusammen. „Aus Sicherheitsgründen können wir keine weiteren Kommentare abgeben“, betont die Airline.

Die Nato bestätigte am Montag:. „Die Verbündeten beraten sich über die erzwungene Landung des Ryanair-Flugzeugs durch Belarus, und die Botschafter werden morgen darüber diskutieren. Bereits am Sonntag hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Twitter von einem „schwerwiegenden und gefährlichen Vorfall“ gesprochen, der internationale Untersuchungen erfordere.

Passagiere stundenlang von Bewaffneten festgehalten

Tatsächlich dürfte die Situation an Bord der Maschine gespenstisch gewesen sein. O'Leary lobt die Besatzung für ihren „phänomenalen Job“. Der Vorfall sei „sehr beängstigend“ gewesen, für Personal und Passagiere, die stundenlang von Bewaffneten festgehalten worden seien. Der irische Außenminister Simon Coveney forderte die EU zu einer „sehr deutlichen Antwort“ auf. Die Führung von Belarus besitze keine demokratische Legitimität und verhalte sich wie eine Diktatur.

Vater zeigt sich besorgt

Protassewitschs Vater Dmitri zeigte sich im Interview des weißrussischen Radiosenders Radio Swoboda überzeugt, dass es sich um eine sorgfältige Operation "wahrscheinlich nicht nur von den Geheimdiensten von Belarus" handelte. Russland ist enger Verbündeter von Belarus. Sein Sohn war demnach auf der Rückreise von einem Griechenland-Urlaub in die litauische Hauptstadt Vilnius, als Lukaschenko das Flugzeug zur Landung zwingen ließ. Er selbst habe nicht gewusst, wann sein Sohn fliege.

Empörung in Tschechien: Botschafter einbestellt

Tschechien hat den belarussischen Botschafter ins Außenministerium in Prag einbestellt. Man habe gegen dieses Vorgehen entschieden protestiert und die sofortige Freilassung des Journalisten Roman Protassewitsch und seiner Freundin gefordert, teilte eine Sprecherin am Montag mit. Dieser Verstoß gegen internationales Recht werde "nicht ohne Antwort bleiben". Das Leben der Passagiere und der Besatzung seien gefährdet worden.

Litauen sagt Fußballspiele ab

Der litauische Fußballverband will nicht bei zwei bereits vereinbarten Freundschaftsspielen in Belarus antreten. „Aus heutiger Sicht werden sowohl die Herren-Nationalmannschaft als auch das Juniorenteam definitiv nicht an diesen Spielen teilnehmen“, sagt Verbandschef Edgaras Stankevicius der Agentur BNS zufolge am Montag in Vilnius. Vor dem politischen Hintergrund seien die beiden Spiele „einfach zu riskant für die Gesundheit und Sicherheit der Spieler und ihrer Familienangehörigen“.

Fußball-Nationaltrainer Valdas Urbonas unterstützt den Schritt. „Es ist besser, keine sportlichen Beziehungen zu einem Land aufrechtzuerhalten, in dem solche Dinge stattfinden“, sagt er einem Bericht des litauischen Rundfunks zufolge.
 

 

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Dmitri Protassewitsch sprach von einem "Terrorakt" des Machthabers Lukaschenko. "Die Operation hatte ein großes Ausmaß, um auf die gesamte internationale Gemeinschaft zu spucken und auf deren Meinung", sagte Dmitri Protassewitsch. "Wir sind sehr besorgt um unseren Sohn", sagte Protassewitsch. "Leider wissen wir nicht, wo er ist und was mit ihm ist. Wir hoffen auf das Beste."

Die litauische Staatsanwaltschaft leitete noch am Sonntag eine strafrechtliche Untersuchung der Vorgänge ein. Dabei gehe es unter anderem um die mögliche Entführung eines Flugzeugs zu terroristischen Zwecken und den Verstoß gegen internationale Verträge, teilten die Behörden mit. Litauens Regierungschefin Ingrida Simonyte erklärte, mehrere Personen, die am Sonntagabend mit dem Flugzeug im litauischen Vilnius landeten, seien unmittelbar um eine Aussage gebeten worden.

US-Außenminister Antony Blinken schrieb am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter mit Blick auf den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, es habe sich um eine "dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes" gehandelt. "Wir fordern eine internationale Untersuchung und stimmen uns mit unseren Partnern über die nächsten Schritte ab. Die Vereinigten Staaten stehen an der Seite der Menschen in Belarus."

UK: Vergleich mit Abschuss von MH17

Ein führender britischer Außenpolitiker verglich indes das Vorgehen der weißrussischen Behörden mit dem Abschuss des Passagierflugzeugs MH17. "Dies sind keine leeren Drohungen. Dies sind sehr reale Drohungen von einer Regierung, deren Verbündete und Freunde erst vor wenigen Jahren genau dasselbe getan haben", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Parlament, Tom Tugendhat, am Montag zu Times Radio. Er verwies damit auf Berichte über angebliche Drohungen der weißrussischen Behörden, die Ryanair-Maschine abzuschießen, falls die Piloten die Landung verweigerten. Tugendhat forderte, Überflüge über Weißrussland zu verbieten. Sie bedeuteten "eine direkte Gefahr für jedes zivile Flugzeug", sagte der Politiker der Konservativen Partei

Mögliches Landeverbot

Die EU hat bereits Sanktionen gegen Weißrussland im Zusammenhang mit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko und seinem harten Vorgehen gegen Regierungsgegner verhängt. Weitere Maßnahmen gegen hochrangige Vertreter aus Weißrussland waren zudem in Planung. Laut einem EU-Vertreter von Sonntagabend könnte nun zudem der weißrussischen Airline Belavia die Landung auf Flughäfen in der EU untersagt und jeglicher Transit-Verkehr von Weißrussland in die EU ausgesetzt werden. Zudem könnten Flüge von EU-Airlines über Weißrussland ausgesetzt werden.

Das Außenministerium in Wien bestätigte am Abend gegenüber der APA, dass sich auch ein österreichischer Staatsbürger auf der Passagierliste befunden habe. Das Außenministerium forderte auf Twitter "eine unabhängige internationale Untersuchung dieses Vorfalls" und die dringende Freilassung Protassewitschs.