Politik/Ausland

Eine Britin wird Deutsche: „Wie ein Ticket für das Rettungsboot“

Es gibt Ereignisse, da weiß man, wo man an diesem Tag war: Als zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers krachten, oder als Donald Trump US-Präsident wurde oder als die Briten für den Ausstieg aus der EU stimmten. Kate Connolly wollte an diesem Tag, dem 23. Juni 2016, mit ihren Kindern schwimmen gehen. An den Schockmoment erinnert sie sich noch gut, wie sie ihren Kollegen von der Auslandspresse erzählt: „Es war eine völlige Überraschung für meine Kollegen und Freunde. In unserer Welt war es unlogisch, dass das passieren würde.“

Connolly, Jahrgang 1971, wuchs mit der EU auf, sah sich immer als Europäerin. Seit vielen Jahren lebt die Deutschland-Korrespondentin der britischen Zeitungen Guardian und Oberserver mit ihrem Mann, einem Deutschen, und den beiden Kindern in Potsdam, nahe Berlin.

Die Ungewissheit, was nach dem Brexit passieren würde, brachte ihr viele schlaflose Nächte, Ärger und Sorgen ein, die sie auch in einem Buch beschreibt („Brexit Exit. Wie ich Deutsche wurde“, Hanser Verlag). Die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, war für sie eine „pragmatische Entscheidung“. Vor ihren Augen tat sich ein Schiff auf, das von Parlamentariern auf einen Eisberg hingelenkt wird, der deutsche Pass schien ihr „wie ein Ticket für das Rettungsboot“. Der Weg zum neuen Pass führte die Journalistin ins Bundesamt für Migration, dort stand sie in einer Schlange mit vielen anderen Nationalitäten und traf auch viele Briten.

Seit dem Brexit-Referendum lassen sich immer mehr einbürgern, absolvieren Tests und Sprachkurse. Waren es 2015 noch knapp über 600, sind es nach Angaben des Innenministeriums seit dem Votum mehr als 7000. Vor allem in Niedersachsen gab es vergangenen Jänner großes Interesse, berichtete das niedersächsische Europaministerium. Im Vergleich zu 2017 stiegen dort in zehn Städten die Zahlen der Einbürgerungen um fast die Häfte an.

Gespaltene Familien

In ihrer britischen Familie ist die neue Staatsbürgerschaft ein heikles Thema, wie auch der Brexit. Connollys Mutter stimmte dafür – aus Angst vor Einwanderung. „Die Macher der Leave-Kampagne haben dieses Gefühl gezielt ausgenutzt“, so Connolly. Ansonsten hat der Brexit in ihren Augen wenig mit der EU zu tun, mehr mit Identität und dem Gefühl einiger, dass Großbritannien besonders sei, weil es ein Inselstaat ist. Dazu kommen innenpolitische Gründe: „In der Thatcher-Ära ist viel schiefgegangen. London boomt – aber jene, die für den Brexit stimmten, leben dort, wo es wirtschaftlich nicht gut läuft.“ In diesen Regionen haben die Menschen teilweise zwei bis drei Jobs, viele sind weggegangen, die Einkaufsstraßen wirken leer, das löst Einsamkeitsgefühle aus, berichtet Connolly - und das sei "ein wesentlicher Teil des Problems".

Die Kontroversen und die geteilte Meinung zum Brexit verstärken diese Gefühle, denn in vielen Familien oder Nachbarschaften wird nicht mehr darüber gesprochen, erzählt die Britin, die dies auch in ihrem engsten Umfeld erleben musste. Ihr eigener Vater, der anfangs gegen den Brexit war, ist heute dafür. Alles Reden blieb zwecklos. Seither wird darüber geschwiegen, bei Familienfeiern wird ebenfalls vorab festgelegt, nicht darüber zu diskutieren, „was schwierig ist, weil der Brexit in den Nachrichten allgegenwärtig ist“, sagt Connolly. Sie hat nicht das Gefühl, dass ihre Eltern groß über die Folgen nachdenken, etwa wenn ihre Enkelkinder einmal in England studieren oder wohnen wollen.

Die 47-Jährige fürchtet jedenfalls, dass sich die EU und die Briten nicht einig werden: „Es sind zwei Paralleluniversen, die aneinander vorbeireden.“ Sie sieht dem 29. März 2019, dem geplanten Austritts-Datum, besorgt entgegen. Doch bei aller Brexit-Tristesse – den Tag, an dem sie im Rathaus per Urkunde Deutsche wurde, hat sie in schöner Erinnerung. Nur ihre Tochter war etwas enttäuscht: „Sie dachte, dass Angela Merkel auch kommen würde.“