Politik/Ausland

Ein Jahr Mohammed Mursi: Aufruhr in Ägypten befürchtet

Am kommenden Sonntag ist Ägyptens Präsident Mohammed Mursi ein Jahr im Amt. Freude herrscht in der Bevölkerung allerdings keine vor – vielmehr Wut, Enttäuschung und Angst vor gewalttätigen Demonstrationen. Seit der Wahl des Muslimbruders ist Ägypten tief gespalten. Zwei Jahre nach dem Ende von Hosni Mubarak stehen auf dem Tahrir-Platz in Kairo wieder Zelte.

Viele, die Mursi vor einem Jahr ihre Stimme gaben, haben sich mittlerweile von ihm abgewandt. Der Neuanfang, den sich die Ägypter gewünscht haben, blieb aus. Vielmehr treibt der neue Präsident eine Islamisierung der Gesellschaft voran, so Kritiker. Von seinem feierlichen Versprechen bei Amtsantritt, dem "gesamten Volk zu dienen", ist wenig übrig geblieben. Mursi verschaffte sich hingegen diktatorische Vollmachten, entmachtete den Obersten Militärrat und die Justiz. Er sei ein "neuer Pharao", wettert die Opposition.

Brot wird immer teurer

Die Bevölkerung ist unzufrieden, weil Arbeitslosigkeit und Kriminalität gestiegen sind. Es mangelt flächendeckend an Benzin und Strom im Land. Auch die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen Monaten in die Höhe geschnellt. Laut einer Umfrage eines regierungseigenen Meinungsforschungsinstituts vor wenigen Tagen würden nur mehr 35 Prozent für den Präsidenten stimmen.

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Oppositionelle starten nun immer wieder Versuche, Mursi weiter zu schwächen – und ihn damit zum Rücktritt zu bewegen. Die Initiative Tamarod (arabisch für Rebellion) sammelte bereits Millionen Unterschriften gegen den Muslimbruder. Die Kampagne will mehr Unterschriften erreichen, als Mursi Wählerstimmen erhielt. 15 Millionen ist das große Ziel.

Rücktritt gefordert

Wieder wird außerdem angekündigt, so lange demonstrieren zu wollen, bis der Präsident zum Rücktritt gezwungen wird. So wie Mubarak im Februar 2011. Am Wochenende sind Massenproteste der Opposition geplant, kleinere Proteste finden bereits seit Tagen in vielen Städten statt. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen mit Verletzten. Anhänger von Mursi und den Muslimbrüdern reagierten nun: Sie wollen ab Freitag ihren Präsidenten verteidigen. In der Bevölkerung herrscht deshalb Angst vor einer blutigen Zuspitzung des Konflikts.

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Mursi, der gelernte Brückeningenieur, versucht die Fronten zu entschärfen. In einer großen Rede am Mittwochabend verkündete er Reformen und einen "nationalen Dialog". Vorgezogene Neuwahlen schloss Mursi hingegen aus. Jeder müsse sich an die Spielregeln der Demokratie halten. Dass er Fehler in seiner Amtszeit gemacht habe, bestreitet er am Mittwoch nicht. Auch eine Entschuldigung "für das, was auf den Straßen los ist", lieferte Mursi.

Opposition lehnt Dialog mit Mursi ab

Die Opposition lehnte das Dialogangebot am Donnerstag ab. Nach der Rede Mursis erneuerte der Chef der oppositionellen Nationalen Heilsfront, Mohammed El Baradei, die Forderung nach einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl. Auch die religiöse Minderheit der Kopten, denen Mursi ein offenes Ohr versprach, ist enttäuscht. "Das erste Jahr seiner Herrschaft war frustrierend", sagt der koptische Papst Tawadros II., "Ägypten hat eine bessere Führung verdient."