"Man muss nicht bei jedem Käse mitmachen"
Von Evelyn Peternel
Neben dem Zaun zum Volksgarten schläft ein Mann seelenruhig auf seiner Pritsche. „Neben ihm ist schon der Traktor vorbeigerattert, der schläft wie ein Stein“, sagt Clemens Brandstetter. Der blond gelockte Aktivist - und auch der Schlafende - verfolgen beide ein Anliegen: Sie unterstützen Martin Ehrenhauser, jenen EU-Parlamentarier, der auszog, um gegen das Hypo-Debakel zu demonstrieren.
Am Sonntag hatte der streitbare Parlamentarier kurzerhand die ORF-Pressestunde verlassen, um auf dem Ballhausplatz Quartier zu beziehen. „Das war eine schnell geplante Aktion“, sagt der „Europa anders“-Mandatar, während er ein Pappschild mit der Aufschrift „Hypohaftungsboykott“ vor sich hält. Kurz nach der Vorstellungsrunde war er aufgestanden und hatte das Studio verlassen; sehr zum Erstaunen der restlichen Diskutanten. "Neben der Materialschlacht, die die Großparteien veranstalten, bleibt einer Kleinstpartei wenig anderes übrig. Da muss man aktionistisch und kreativ werden“, sagt er.
Gitarren, Tee und die Hypo
Deren Krise, das ist jene der Kärntner Landesbank. Also etwas, das nicht viel mit dem EU-Parlament in Brüssel zu tun hat - oder? „Das stimmt ganz fundamental nicht“, meint Ehrenhauser. „Die Hypo ist ein Symbol für ein Thema, das europaweit beschäftigt.“ Schlagworte wie verfehlte Austeritätspolitik, Schieflage im Finanzsystem und ungerechte Vermögensverteilung fallen; man müsse sich die Frage stellen, ob man wirklich beim Sozialstaat sparen wolle, um spekulierenden Banken wieder auf die Beine zu helfen. „Diese Bankenrettung ist ein Verbrechen“, sagt Ehrenhauser.
Vom Haftungsboykott zur Volksabstimmung
Das würde er auch dem Kanzler sagen, wenn er denn mal vorbeikäme. Die Chance, dass das passiert, ist gar nicht so klein – denn aufgeben will Ehrenhauser noch länger nicht. Wie lange seine Mitstreiter ihm dabei zur Seite stehen, wird sich weisen. Immerhin, die erste Nacht sei geschafft, dank der vielen helfenden Hände, „sogar eine Pizza hat jemand vorbeigebracht.“
Er hat beschlossen, sich hinzulegen. Aus Protest, weil sich die Leute das alles nicht mehr gefallen lassen sollen, sagt Martin Ehrenhauser. Am Sonntag stand der EU-Mandatar sieben Minuten nach Beginn der ORF-Pressestunde auf, ging aus dem Studio – und campiert seither vorm Bundeskanzleramt. Wer ist der Mann, der mit Schlafsack und Pappschild einen "Hypo-Haftungsboykott" fordert?
Für Hans-Peter Martin war der 35-Jährige "der kleine Martin" und blieb zeitlebens Assistent – im besten Fall. 2009 nach der EU-Wahl stieg Ehrenhauser auf, wurde als wichtigster Mitarbeiter zum EU-Abgeordneten geadelt. Doch ab 2011 war er wieder Paria – Ehrenhauser hatte sich an der Intransparenz der Parteifinanzen der Liste Martin gestoßen. Der gebürtige Linzer war einst bei den Liberalen, dann im ÖVP-Dunstkreis und heuerte schließlich bei Hans Peter Martin an. Jetzt will er mit dem KPÖ-Wahlbündnis "Europa anders" für fünf Jahre wieder rein ins EU-Parlament. In Ermangelung eigener Bekanntheit bettelte er mit dem inszenierten Abgang im ORF und dem Sleep-in vorm Kanzleramt um Schlagzeilen – und wurde vom Boulevard belohnt.
Brüssel-Kenner beschreiben Ehrenhauser als leicht verschroben und "halben Politiker", der seine Rolle nie gefunden habe. Aber zumindest Unterstand fand er. Auf dem Ballhausplatz ging gestern ein Platzregen nieder, also flüchtete er unter das Dach der Hofburg. In den Trakt mit dem Sisi-Museum.