Politik/Ausland

Die zwei Gesichter Amerikas ärgern und begeistern Europa

Strahlender hätte die Stadt, die Donald Trump vor einem Jahr noch als "Höllenloch" abgetan hat, ihn nicht begrüßen können: Ein wolkenloser Himmel und mehr als zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs sowie die Spitze der EU, die dem Kennenlernen mit dem US-Präsidenten bemüht freundlich entgegensahen. Bei allen Differenzen sollte der mächtigste Mann der Welt bei seinem Besuch in Europa mit einer geballten Charmeoffensive für sich gewonnen werden.

Denn die Beziehungen zwischen dem 45. Präsidenten der USA und der EU sowie der NATO hätten kaum schlechter starten können: Das Militärbündnis bezeichnete Trump als "obsolet", die EU wiederum sei nur ein "Vehikel" für Deutschland, und der "Brexit" eine gute Sache.

Nach vier Monaten im Amt hat Trump seinen Ton gemäßigt. Der von ihm bisher so gering geschätzten EU widmete der Herr des Weißen Hauses am Donnerstag immerhin einen Besuch von einer Stunde. Doch richtigen Draht fand man nicht zueinander. Eine Umarmung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, wie er sie seinen Gästen zuweilen zuteil werden lässt, bekam Trump nicht. Es blieb bei Schulterklopfen – und der Erkenntnis, dass man einander in vielen wichtigen Frage nicht nähergekommen sei.

Im Umgang mit Kremlchef Putin etwa: "Ich bin nicht zu 100 Prozent sicher, dass wir heute sagen können , dass wir eine gemeinsame Meinung zu Russland haben", bilanzierte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Massive Differenzen gibt es auch beim Außenhandel, wo Trump die USA in Richtung Protektionismus steuert.

Mittag mit Macron

Beim Streitthema Pariser Klimaschutzabkommen, das Trump verlassen möchte, setzte die EU auf einen besondere Charme-Waffe: Frankreichs frisch gewählter Präsident Emmanuel Macron sollte Donald Trump beim Mittagessen davon überzeugen, dem Abkommen treu zu bleiben. Den ältesten Präsidenten der USA und den jüngsten Präsidenten Frankreichs verbindet abseits von weltanschaulichen Differenzen vor allem eines: die Überraschung ihres Wahlsieges, Trump zeigte sich von Macron nachhaltig beeindruck: "Auf der ganzen Welt sprechen sie darüber", sagte Trump, "Glückwunsch. Großartige Arbeit!"

Gemeinsam begaben sich Macron und der US-Präsident danach zum eigentlichen Anlass des Brüssel-Besuchs von Donald Trump: Der Eröffnung des neuen NATO-Hauptquartiers. Das eine Milliarde Euro teure spektakuläre Gebäude, bestehend aus acht ineinandergreifenden Flügeln, ist noch nicht bezugsfertig. Und offen blieb für die 27 anderen Staats- und Regierungschef von NATO-Staaten auch, wie sich Trump endgültig gegenüber der NATO positioniert.

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Trump ist der einzige US-Präsident, der sich nicht ausdrücklich hinter den Artikel 5 der NATO-Charta, also die gegenseitige Beistandsverpflichtung, stellt. Wer Derartiges vom Commander in Chief erwartet hatte, wurde enttäuscht. Aber man sei ja schon erleichtert, schildert ein NATO-Insider dem KURIER, "dass Trump die NATO nicht mehr als obsolet bezeichnet".

Freundlichkeiten des Kennenlernens hatte der US-Präsident ebenfalls nicht mit im Gepäck. Mit einer barschen Aufforderung, ihren Verteidigungshaushalt zu erhöhen, begann Trump seine kurze Rede an die Partnerländer. Diese schuldeten dem Militärbündnis "eine riesige Menge Geld", sagte Trump. Bisher erfüllen nur fünf der 28 NATO-Staaten die Vorgabe, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in ihre Verteidigung zu investieren. Nächstes Jahr werden es aber bereits acht sein. Auch die anderen Staaten haben bereits begonnen, ihren Verteidigungsetat zu erhöhen.

Anti-IS-Allianz

Noch ehe sich der Oberbefehlshaber der US-Armee zum Dinner begab, hatte er eine weitere Forderung durchgesetzt. So wird die NATO als gesamte Militärallianz künftig am Kampf gegen den "Islamischen Staat" teilnehmen. Dies gilt als symbolisches Zugeständnis an den US-Präsidenten. Denn schon jetzt sind alle 28-NATO-Staaten bei der Anti-IS-Allianz dabei – einige mit der Ausbildung von Anti-IS-Kräften. Andere fliegen Luftangriffe, manche haben Sondereinheiten im Irak und in Syrien auf dem Boden.

Konkrete Beschlüsse standen für die NATO am Donnerstag allerdings nicht auf dem Plan. Galt es doch, den "Schnupper"-Gipfel kurz zu halten. Drei Stunden, prall gefüllt mit 28, je maximal drei Minutenlangen Politiker-Reden – mehr wollte die NATO-Führung dem für seine kurze Aufmerksamkeitsspanne bekannten US-Präsidenten nicht zumuten.

"Neben mir sitzt der einst mächtigste Mann der Welt", sagt der Moderator. Angela Merkel verzieht den Mund: "Na, neben Ihnen sitze erstmal ich!"

Sie muss selbst ein wenig lachen, aber irgendwie scheint der deutschen Kanzlerin bewusst, dass sie hier am Podium nur zweite Geige spielt. Die Massen, die vor dem Brandenburger Tor stehen, klatschen ihr zwar auch zu, aber als Barack Obama "First of all: Guten Tag!" sagt, wird gekreischt und gejohlt.

Popstar & Prediger

Es hat fast was Religiöses, wie er hier gefeiert wird, und das passt gut zum Anlass des Besuches. Merkel hat Obama zum evangelischen Kirchentag eingeladen; eine ökumenische Veranstaltung, die zwar immer viele Menschen anzieht, bei der aber sonst Pastorentochter Merkel den größten Glamourfaktor mitbringt. Dass Obama nicht nur als Ex-US-Präsident spricht, sondern als durch und durch Gläubiger, der seine Karriere in einer Kirche in den Armenvierteln Chicagos begonnen hat, macht das Ganze viel charmanter – nicht nur fürs Publikum, sondern auch für Merkel. Es ist Wahlkampf in Deutschland, auch am Kirchentag; und wenn Obama über "seine liebste Partnerin Angela" spricht, dann erinnert das an seine Auftritte im eigenen Wahlkampf, die oft wie afroamerikanische Gottesdienste daherkamen. Das freut sie, sichtlich: Sie grinst zu ihm rüber, scherzt.

Der Gegenpol, an dem sich beide dann abarbeiten, ist irgendwie auch Teil der Inszenierung, auch wenn ihn keiner beim Namen nennt. Wenn Obama sagt, "wir können uns nicht hinter einer Mauer verstecken!", wird frenetisch geklatscht – als hoffte man, Donald Trump könnte das bis nach Brüssel hören, wo er gerade landet. Auch Merkel wird nach dem Auftritt zum NATO-Gipfel dort eilen; sie ist aber viel vorsichtiger als Obama in ihrer Wortwahl: Sie spricht nur oft über "Demut" in der Politik und darüber, dass man "in Jahren, nicht in Monaten" denke müsse. Klar, Merkel ist noch nicht im Polit-Ausgedinge wie Obama, der sich jetzt mit einer Foundation für "eine bessere Welt" einsetzt – der Ex-Präsident nutzt seinen ersten großen Auftritt nach der Amtsübergabe auch für Eigenwerbung. Merkel hingegen steht noch mitten im Graben zwischen den zwei Gesichtern Amerikas – dem vertrauten neben ihr und dem ungewissen, das in Brüssel wartet.

Frohe Botschaften

Dass sie bei diesem Balanceakt auf Obama zählen kann, betont er darum umso öfter. Er gibt ihr Steilvorlagen, als er sagt, die USA seien "genauso eine christliche wie jüdische und muslimische Nation"; sie sagt, das sei auch in Deutschland so, ohne aber ihren streitbar gewordenen Stehsatz "Der Islam gehört zu Deutschland" zu wiederholen. Er lobt ihre Flüchtlingspolitik, worauf sie freimütig zugibt, dass sie auch Fehler gemacht habe, nur um dann für den Satz, "Millionen Menschen in Deutschland haben Mitgefühl gezeigt – und, dass man etwas bewegen kann", bejubelt zu werden. Es ist der einzige Moment, bei dem auch sie für Gänsehaut sorgt.

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Ob ihr das was nützt? Ja – beim Publikum, ob gläubig oder nicht, kommt das schon an. Die "Steherqualitäten" Merkels lobt etwa Sigrid Beer aus Nordrhein-Westfalen, die als Grünen-Politikerin oft anderer Meinung sei als die Kanzlerin, ihr darum aber keinen plumpen Wahlkampf vorwerfen will, wie das andere im Vorfeld des Obama-Auftritts taten; sie sieht das eher als geschickte Strategie. Die vielen Jugendlichen, die den größten Teil der gut 70.000 Besucher stellen, sind sowieso enthusiastisch. "Mit Religion hat das für uns nichts zu tun", sagen Niklas und Inga, die als freiwillige Helfer da sind. Wegen der "Atmosphäre" und der "Persönlichkeiten" seien sie hier, sagen sie; sie meinen Merkel und Obama gleichermaßen.

Wer von beiden in der Welt die erste Geige spielt, ist aber trotz der Berliner Obama-Mania klar. Als er sagt, die "Weltordnung befindet sich an einem Scheideweg", ist sie es, die er nachdrücklich ansieht; als müsste sie jetzt den richtigen Weg weitergehen. "It’s not so easy", sagt er dann noch – und lächelt.

Von Evelyn Peternel