Politik/Ausland

Deutsche Wirtschaft: Der Motor läuft fast rund

Reich durch Porsche, Daimler und Bosch, erster bei Innovationen und eine niedrige Arbeitslosenquote von der andere Bundesländer nur träumen können – Baden-Württemberg ist ein Musterländle, wie die Schwaben sagen würden.

Aber, hier in Stuttgart, gibt es bekanntlich viele Baustellen. Nicht nur das umstrittenen Bahnprojekt "Stuttgart 21" macht den Menschen zu schaffen, auch der Feinstaub und zuletzt die dreckige Luft der Diesel-Autos.

Was das Land wirtschaftlich nach vorne brachte, macht es krank – davon sind jene Aktivisten überzeugt, die jeden Montag im Schlosspark demonstrieren. Ein Mann mittleren Alters, Typ Religionslehrer, stimmt sein Mikrofon. "Willkommen zur 612. Demonstration", begrüßt er die Passanten, die stehen bleiben, und leitet über zum eigentlichen Thema: dem Dieselskandal. Dass davon am Sonntag keine Rede war – im "Duett" von Merkel und Schulz – beweist für ihn, wie vernetzt Autobranche und Politiker sind. Ein paar Menschen nicken. Monika aus Stuttgart klatscht. Seit 1975 ist die Mittfünfzigerin politisch aktiv. Von den Grünen, die hier gemeinsam mit der CDU regieren, ist sie enttäuscht. "Die sind ziemlich nach rechts gewandert, das sehen auch viele andere so." Ihre Kritik: Nicht nur dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann es zulässt, dass mehr Flüchtlinge abgeschoben werden als in Bayern, auch am Diesel hält er weiterhin fest.

Grüner Pragmatiker

Während die Grünen auf Bundesebene darauf pochen, dass bis 2030 nur mehr abgasfreie Autos auf deutschen Straßen fahren, warnt der erste und einzige grüne Ministerpräsident Deutschlands davor, den Diesel zu verteufeln. Klingt paradox. Aber Kretschmann ist als Pragmatiker bekannt und er weiß, wie abhängig sein "Ländle" von den Autobauern ist, eine Million Fahrzeuge werden im Raum Stuttgart jährlich angefertigt.

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Seine Ansichten vertritt der Grüne, der wie sein schwarzer Amtskollege Seehofer klingen kann, an diesem Abend auch im Stuttgarter Bezirk Feuerbach. Etwa 100 Menschen sind in das Kulturzentrum, zwischen Baumarkt und Biosupermarkt, gekommen. Ein Heimspiel für den Landesvater, denn so pragmatisch wie er denkt, so sehen es auch seine Fans. Gegen Klimawandel und Pestizide in der Landwirtschaft sind sie alle. Aber, wenn Kretschmann erklärt, dass der Diesel als Übergangstechnologie weiterhin gebraucht wird – es gäbe ihn auch in einer sauberen Variante – nehmen sie es kritiklos hin. "Wir werden das Problem lösen, nur nicht von heute auf morgen", verspricht er. Die Zukunft der Elektroautos sieht er, von einer vorschnellen Verkehrswende, rät der Mann, der selbst Diesel fährt, ab. Und er argumentiert mit einem Schreckensszenario: Stürzt der Diesel ab, trifft dies die Existenz der Mittelständler.

Fachkräfte gesucht

Die kleinen Betriebe gelten als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und haben ohnehin mit Problemen zu kämpfen: Es fehlen Techniker, Meister, Fachkaufleuten und Betriebswirte, heißt es von der regionalen Industrie- und Handelskammer. In den nächsten 13 Jahren wären 275.000 Stellen offen. Deutschlandweit wären das drei Millionen Fachkräfte, rechnete das Wirtschaftsforschungsinstitut "Prognos" vor.

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Auch Werner Landhäußers Betrieb sucht händeringend nach qualifizierten Facharbeitern. "Viele wollen heute lieber auf die Uni, obwohl manche besser in einem Beruf aufgehoben wären." Und um die wenigen Lehrlinge, die es gibt, konkurrieren die Firmen, weiß Landhäußer, Geschäftsführer der Firma Mader, die auf Drucklufttechnik und Pneumatik spezialisiert ist, also Luft erzeugt und nutzt. Der 59-jährige Betriebswirt schaut aus dem Fenster und zeigt auf das Gebäude auf der anderen Straßenseite. "Die meisten wollen zu den Großen."

Es ist schwer, so Landhäußer, als Ausbildungsbetrieb aufzufallen, dass einen die Jungen finden und sich bewerben. Daher seien sie auf jeder Jobmesse, an den Universitäten, Hochschulen sowie an Werksrealschulen vertreten. Mit diesen führen sie auch eine Bildungspartnerschaft, bieten praxisbezogene Fächer wie Marketing oder Bewerbungstraining an. Denn das Problem sei nicht nur die geringe Auswahl an Auszubildenden, sondern auch deren Fähigkeiten und Kompetenzen. "Manchen fehlt es schon beim Bewerbungsgespräch an den einfachsten Umgangsformen."

Bei anderen Absolventen beobachtet er wiederum hohe Ansprüche. Die Jobwelt hat sich verändert, statt höherem Gehalt zählen Weiterbildungsmöglichkeiten, Work-Life-Balance und ein ansprechendes Umfeld.

Landhäußers Betrieb zählt mit 85 Mitarbeitern in puncto Klimaschutz, Digitalisierung und Weiterbildung zu den fortschrittlichsten, sogar die Kanzlerin war hier, im Gewerbegebiet Leinenfelde, zu Besuch. Zudem arbeiten in der Firma viele Menschen mit Migrationshintergrund, das bereichere die Firma, ist der 59-Jährige überzeugt.

Chance für Zuwanderer

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Er sieht Zuwanderung durchaus als Chance – auch gegen den Fachkräftemangel. Vor drei Jahren nahm sein Betrieb Hossein Safari als Lehrling auf. Der 23-jährige Afghane hat kürzlich seinen Abschluss geschafft, routiniert steht er heute im Lager, kontrolliert Listen. Die Fachbegriffe hat er gelernt, einfach war es nicht, sagt er und lächelt schüchtern. Hilfe bekam er dabei von einem pensionierten Mitarbeiter, der sich als Mentor anbot. "Es hat gut funktioniert, aber mehr als einen Flüchtling ausbilden, das ist für einen kleinen Betrieb nicht möglich", räumt Geschäftsführer Werner Landhäußer ein.

Wenn aber alle mittleren Betriebe in Deutschland (zirka 3,64 Mio.), die über Fachkräftemangel klagen, mitziehen und einen Flüchtling ausbilden, sähe die Lage schon besser aus.

Dazu müssten allerdings rechtliche Hürden überwunden werden – dessen ist sich auch der grüne Ministerpräsident Kretschmann bewusst. Fast täglich bekomme er Briefe von Unternehmen, die Flüchtlinge einstellen würden, erzählt er. Es brauche dafür neue Regeln.