Jamaika-Koalition: Karibik-Stimmung an der Spree
Jamaika – das klingt nach Sonne, Strand, Rum und Reggae-Musik. Dahinter verbirgt sich jedoch ein politisches Bündnis aus schwarzen Christdemokraten, gelben Demokraten und grünen Ökos, das bei den Parteien nicht für Urlaubsstimmung, sondern Bauchschmerzen sorgt. Zu groß sind die Unterschiede.
Drei Tage vor der Wahl sieht es rechnerisch aber so aus, als wäre dies die einzige Alternative zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot. Und die einzige Chance für Grüne und FDP, zu regieren. Dass sie die nicht in den Wind schlagen wollen, daran lassen beide keine Zweifel aufkommen, auch wenn man inhaltlich weit auseinander liegt. Etwa beim Klimawandel: Während die Ökopartei die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke abdrehen würde, gehören sie für die FDP noch dazu, weil erneuerbare Energien nicht ausreichen. Das sorgt bei den Grünen für Kopfschütteln. "Wenn man mehr Klimawandel haben will, wählt man FDP", ätzte Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckart. Ein weiterer Knackpunkt: die Flüchtlingspolitik. FDP-Chef Christian Lindner wirft den Ökos vor, Abschiebungen zu verhindern, zudem blockieren sie die Einstufung bestimmter Staaten als sicher. Nächtelange Verhandlungen sind vorprogrammiert.
Schreckgespenst
Damit es überhaupt dazu kommt, müssen die grünen Spitzen ihre Basis überzeugen. Cem Özdemir versuchte das beim Sonderparteitag am Sonntag mit dem Schreckensgespann aus FDP-Chef und CSU-Minister: "Jetzt stellt euch mal vor, Christian Lindner und Alexander Dobrindt in einer Regierung!", sagte er, schlug die Hände vors Gesicht – die Ökos raunten. Mindestens so schlimm wie die Vorstellung, Prinzipien einzubüßen, wäre eine Neuauflage von Schwarz-Gelb, dem Bündnis, das bis 2013 regierte. Özdemirs Argument: Besser mit uns in der Regierung als ohne uns.
Einen ähnlichen Satz hört man auch aus SPD-Kreisen. Wobei bei vielen Mitgliedern die Überzeugung wächst, dass nach langer Regierungsbeteiligung und schlechten Ergebnissen die Zeit reif ist für Erneuerung – aber von der Oppositionsbank aus.
Dort will sich Grünen-Chef Özdemir eigentlich nicht mehr rumdrücken. Als Realo fremdelt er weniger mit anderen Parteien, Schwarz-Grün, wie in Baden-Württemberg, ist für ihn kein Problem. Auch auf ein Szenario mit der FDP als Partner bereitet er sich schon länger vor. Es ist kein Geheimnis, dass er sich mit Christian Lindner trifft – auf halbem Weg zwischen FDP- und Grünen-Zentrale, um auszuloten, was möglich wäre. Vielleicht ein Vizekanzler Lindner, ein Außenminister Özdemir?
Spaltpilz CSU
Diese Fantasien könnte nur einer trüben: Horst Seehofer. Der CSU-Chef wird ebenfalls am Verhandlungstisch sitzen und hat wenig übrig für Exotik. Das liegt vor allem an den Grünen: Deren Programm habe "nicht die Spur einer Chance" auf Umsetzung mit der CSU, posaunte er. Lieber würde er mit der FDP verhandeln – in puncto "Sicherheit der Arbeitsplätze, technologischer Erneuerung, seriöser Finanzpolitik, vernünftiger Außen- und Europapolitik" komme man am besten mit der FDP voran.
Für Kanzlerin Angela Merkel wäre es ebenso bequemer, allerdings hätte sie mit einem dritten Partner im Bund eine sattere Mehrheit. Und auch europapolitisch macht es sich besser, wenn die Grünen mit im Boot sind. Das wäre zudem ein Signal an Frankreich und Brüssel, die um ihre Reform der Eurozone bangen, wenn die FDP in der Regierung sitzt. Denn von einem EU-Finanzminister, der schwachen Euroländern unter die Arme greifen kann, hält FDP-Chef Lindner nichts.
Empfohlen wird das Dreierbündnis von mehreren Seiten – vom britischen Economist, um aus dem Stillstand der Großen Koalition auszubrechen, und auch aus Schleswig-Holstein kommt dieser Rat. Denn worüber im Bund gerade spekuliert wird, ist dort Realität: CDU-Ministerpräsident Daniel Günther führt seit einiger Zeit ein schwarz-grün-gelbes Gespann, nach dem sich die Kanzlerin auch regelmäßig erkundigt. Vielleicht kommt sie auf den Geschmack – wenn Jamaika im Norden geht, dann vielleicht auch an der Spree.