Politik/Ausland

Mindestkonsens für Mindestlohn

Er war im letzten Herbst der größte Wahlschlager der SPD neben der inzwischen beschlossenen Rückführung des Renteneintrittsalters auf 63 Jahre gewesen: Der "flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro für alle". Er ist eine alte Forderung des DGB. Am Donnerstag wird ihn die Koalition im Bundestag mit ihrer großen Mehrheit beschließen, wenn auch nicht mit allen ihren Stimmen.

Doch den erhofften sozialpolitischen Frieden sichert sich die SPD-Führung damit nicht: Die zuletzt auf Druck der Wirtschaft geplanten minimalen Ausnahmen empören die Gewerkschaften, die noch immer die Sozialreformen des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder vor zehn Jahren bekämpfen. Und die Linksopposition höhnt über "Verrat am Wähler".

Auch der koalitionsinterne Friede bleibt brüchig, für den der Mindestlohn bisher Sprengstoff war. Die Union bremste die Gesetzesvorlage von Arbeits-und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD), weil sie eine Gefährdung der deutschen Leistungsfähigkeit fürchtete. Schließlich sorgte Kanzlerin Merkel für den internen Kompromiss.

Kampf um Ausnahmen

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Entgegen früheren Beteuerungen der SPD-Führung, ohne flächendeckenden Mindestlohn keine Koalition einzugehen, finden sich damit nun doch drei Gruppen im Gesetz, die davon nicht oder nur wenig profitieren: Saisonarbeiter, Praktikanten und Zeitungszusteller. Zumindest da setzten sich die Wirtschaft und ihr nahestehende Unions-Abgeordnete durch: Diese Praktikantenstellen, so das Argument, fielen ersatzlos weg, die Zeitungen würden noch mehr Käufer verlieren. Und Saisonprodukte kämen nur mehr aus dem Ausland. So verteidigte auch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt ( CSU) die Ausnahme für Erntehelfer: Ohne sie würden viele Betriebe nicht überleben. Prominente Wirtschaftsforscher nannten die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Euro-Südländern wegen ihres zu hohen Mindestlohns als warnendes Beispiel.

Einigen in der Union reichen diese Ausnahmen aber nicht: So will der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), mit anderen gegen die Einigung stimmen.

Die Gewerkschaften halten deren Argumente für Ausreden: Der neue DGB-Chef Reiner Hoffmann (SPD) kündigte an, "bis zur letzten Stunde dafür zu kämpfen, dass es keine Ausnahmen gibt." Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske (Grüne) sprach von einer "brutalen Amputation" des SPD-Wahlversprechens, drei Millionen Arbeitnehmer blieben nun doch davon ausgeschlossen. Bsirske hatte gefordert, den Mindestlohn ohne Ausnahme ab 2015 auf elf Euro festzusetzen.

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi wies die Gewerkschaftskritik als "völlig überzogen und unsachgemäß" zurück. Mindestens 3,7 Millionen Arbeitnehmer würden nun bessergestellt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach gar von einer "Sozialrefom von historischem Ausmaß". Das eigentliche Ziel seiner Partei, sich durch sie mit den Gewerkschaften endlich auszusöhnen, bleibt aber wohl weiter unerreicht.

Praktikanten Schüler und Studenten, die ihre Pflichtpraktika absolvieren, aber auch Praktikanten, die freiwillig bis zu drei Monate tätig sind.

Langzeitarbeitslose Wer länger als ein Jahr arbeitslos war, kann im ersten halben Jahr Beschäftigung unter Mindestlohn bezahlt werden. Außerdem Saisonarbeiter und Zeitungszusteller.