Merkel: Nachdruck bei Koalitionsverhandlungen
Wo ist Merkel?“, hatten sich in den letzten Wochen nicht nur die Medien über die visuelle Abwesenheit der Kanzlerin in den zuletzt zäher werdenden Verhandlungen gewundert. Vor allem in der CDU wurde die Präsenz der Vorsitzenden angesichts medialer Dominanz von SPD und CSU vermisst.
In Umfragen schrumpft die Zustimmung für die Große Koalition von bisher zwei Dritteln der Wähler auf 55 Prozent: Sie warten dringend auf ein Endergebnis der 16 Arbeitsgruppen und der 75-köpfigen Leitrunde aus Bundes- und Landespolitikern.
Wohl auch deshalb macht Merkel seit zwei Tagen nicht nur wie bisher mit unzähligen Telefonaten sondern nun auch öffentlich Druck. Auf ihre subtile Art. Nach zwei Reden in Berlin, wo sie die Notwendigkeit zur Kompromissbereitschaft verteidigte, betonte sie am Parteitag der CSU in München den Willen der Union, die eigenen Grundsätze zu verteidigen.
Unter Bezug auf 18 Millionen konservative Wähler und nur elf Millionen der SPD sagte sie, das Ergebnis müsse „dem Willen der Menschen entsprechen“.
„Politisches Nein“
Zuletzt sei die Union zwar wahrgenommen worden „als die Partei, die immer nur Nein sagt, doch auch ein politisches Nein ist ein Ja, wenn es dem Land nützt, wenn die Ablehnung neuer Steuern und Schulden den Bürgern und dem Staat künftig mehr Handlungsspielraum lässt.“
Merkel betonte den Willen zu Kompromissen, etwa beim von der SPD ultimativ geforderten Mindestlohn, „wenn wir den Verlust an Arbeitsplätzen nicht zu groß werden lassen. Es darf nie wieder fünf Millionen Arbeitslose wie 2005 geben“, spielte sie auf das Ende der rot-grünen Regierung an.
Die CDU-Chefin bekannte sich zu der von der CSU geforderten Pkw-Maut für Ausländer, „wenn sie keine Belastung für deutsche Autofahrer bringt und EU-kompatibel ist“. Ein solches Modell hat die CSU bis jetzt aber nicht vorgelegt. Merkel signalisierte, dass sie auf einen Erfolg der Verhandlungen mit der SPD setzt und sprach nicht einmal von der Alternative von Neuwahlen, die nach allen Umfragen der Union die absolute Mehrheit brächte. Das hatte zuvor CSU-Chef Horst Seehofer getan.
Bis Freitag hatte sich schon abgezeichnet, dass die SPD in vielen von ihr bisher angestrebten Punkten zurück stecken muss. Von den in den Arbeitsgruppen geplanten 50 Milliarden Euro neuen Ausgaben sind keine zehn realistisch – die Hälfte davon sind für Unions-Forderungen. Auch Kernthemen, ohne die „die SPD keine Koalition eingeht“, werden gerade reduziert: So die „abschlagsfreie Rente mit 63“, mit der die von der ersten Großen Koalition beschlossene „Rente mit 67“ ausgehöhlt würde. Dafür kommt ein Kompromiss so wie beim Ultimatum der SPD für die automatische doppelte Staatsbürgerschaft für Migrantenkinder. Sogar deren Dogma vom „Mindestlohn von 8 Euro 50“ geht in eine Kommission, die damit die Flexibilität des Arbeitsmarkts erhalten soll. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles war am Freitag kleinlaut wie selten und SPD-Chef Sigmar Gabriel seit seinem eher verpatzten Parteitag letzte Woche noch unsichtbarer als bis dahin Merkel.
CSU-Chef Horst Seehofer sagte, er erwarte jetzt „äußerst schwierige Verhandlungen“. Er wird am Sonntag im Kanzleramt in Berlin mit Merkel die letzten und damit schwersten Kompromisse bereden und mit Gabriel abklären. Wie schnell das geht, ist bisher offen.
Bleibt Schäuble?
Denn es sind auch noch die wichtigsten Personalfragen zu klären: Kann Merkel ihren CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble halten, oder bekommt den zweitwichtigsten Kabinettsjob doch die SPD? Und dann Gabriel, den sie dafür partout nicht will?
Auch dafür erhöht Merkels CDU den Druck: In Hessen, wo bei gleichem Wahlergebnis wie im Bund die SPD sich noch mehr ziert, beginnt sie mit den Grünen ernsthaft zu verhandeln. Und in Berlin gründen gerade 30 junge Abgeordnete von CDU und Grünen einen Freundeskreis – mit Blick auf eine Koalition.