Politik/Ausland

Heikle Debatte um Sterbehilfe

Eine Woche vor seinem Selbstmord stritt Udo Reiter, langjähriger Intendant des MDR, in einer Talkshow noch vehement für das Recht eines jeden, über sein Ende selbst zu entscheiden. Vor allem wenn Siechtum oder Demenz drohten, die später ein eigenhändiges Ende verhindern. Wie beim einstigen Playboy der Nation, Gunther Sachs, der sich ebenfalls deswegen im Mai 2011 erschoss, beschäftigt das Thema wieder die Öffentlichkeit. Und nun auch den Bundestag, dessen Präsident Norbert Lammert (CDU) die Debatte am Donnerstag die "wohl anspruchsvollste der Legislaturperiode" nannte.

Von den 9200 bekannten Selbstmorden pro Jahr in Deutschland entfallen nur 200 auf sogenanntes "assistiertes Sterben". Dabei vermittelt ein Arzt oder eine Sterbehilfe-Organisation dem hilflosen Patienten tödliche Medikamente, die dieser selbst einnimmt. Für deutsche Ärzte eine gefährliche Grauzone: In einigen Bundesländern können sie dafür bestraft werden. Und sie riskieren zudem den Ausschluss aus der Ärztekammer, was faktisch einem Berufsverbot gleichkommt.

Trotzdem ist in der rasch alternden Bevölkerung der Wunsch nach dem selbstbestimmtem Lebensende, vor allem bei großen Schmerzen, ein immer häufigerer: Eine Mehrheit befürwortet es laut Umfragen. Auch deshalb gehen dazu 500 Deutsche jährlich in die Schweiz. Das Nachbarland traut auch da dem Bürger mehr Selbstverantwortung zu. Hauptkritikpunkt an diesem "Sterbe-Tourismus", auch in der Schweiz selbst, sind Organisationen, die im Verdacht stehen, aus ihrer Hilfe ein gutes Geschäft zu machen.

Auch das macht eine so weitgehende Liberalisierung in Deutschland sehr unwahrscheinlich, wie die vierstündige Bundestagsdebatte am Donnerstag zeigte. Ansonsten gingen die konträren Meinungen quer durch alle vier Parteien, die in ethischen Fragen keinem Fraktionszwang unterliegen.

Rechtssicherheit

Initiator der Debatte war eine Gruppe um den CDU-Bundestagsvizepräsidenten und Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Peter Hintze. Zusammen mit dem Gesundheitssprecher der SPD, Karl Lauterbach, und einer relativ großen Gruppe aus anderen Fraktionen, plädierte er für Erleichterungen: "Mit der Menschenwürde ist es nicht vereinbar, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qual-Tod wird." Es gebe Leiden, wo die Palliativmedizin an ihre Grenzen stoße, staatliche Bevormundung sei hier fehl am Platz.

Das bestritt Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU): "Die medizinischen und rechtlichen Möglichkeiten reichen aus." Schmerzmittel dürften schon jetzt verabreicht werden, auch bei Leben verkürzendem Effekt.

Hintze kollidiere auch mit dem Standesrecht der Ärzte, Leben zu retten statt sie zu beenden. "Man kann nicht die Tür auch nur einen kleinen Spalt öffnen", so Gröhe offenbar im Einklang mit der Mehrheit der Unionsfraktion.

Das Recht ändern, aber zugleich organisierte Sterbehilfe wie vom Verein "Sterbehilfe Deutschland" zu verbieten, wollte eine Gruppe um mehrere SPD-Abgeordnete. Eine andere, von Grünen angeführte Gruppe warb hingegen für noch mehr Liberalisierung als die, die Hintze fordert. Dem widersprach wiederum Lauterbach, der "Serien-Sterbehelfern" vorwarf, auch Menschen mit Depressionen zu bedienen, die gerettet werden könnten.

Angesichts dieser Komplexität ist ein Gesetz zur Rechtssicherheit der Ärzte vor Sommer 2015 unwahrscheinlich.

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