Politik/Ausland

Der Sultan hielt gerne Hof für Merkel

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte schon einfachere Besuche zu absolvieren. Ihre gestrige Reise in die Türkei war eine, bei der an jeder Ecke Fallstricke lauerten. Da waren jedes Wort und jede Geste wohl überlegt. Die Augen ganz Europas und darüber hinaus richteten sich auf die mächtigste Frau der Welt, die diesen heiklen Trip nach Istanbul wagte, um in der Flüchtlingskrise einen Schritt weiter zu kommen.

Klar ist: Die EU braucht die Türkei in dieser Frage, um die südöstliche Flanke abzudecken. Es sei ihre "verdammte Pflicht", in dieser Lage mit Ankara zu sprechen, verteidigte Merkel den Besuch im Vorfeld gegen Kritik. Und die gab es zur Genüge. Von einem "dreckigen Deal" war die Rede, von einer Anbiederung an einen Despoten (den türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan) und einer "moralischen Bankrotterklärung".

Mitten im Wahlkampf

Tatsächlich polierte die Anwesenheit der Kanzlerin das Image des Staatschefs auf, der zuletzt wegen seines autokratischen Führungskurses im Stil eines Sultans wenig hochrangige Gäste aus Europa empfangen durfte. Umso mehr hielt er Hof für Merkel, die ihn salonfähig machte. Zum Nachteil wird dies Erdogans AK-Partei bei den Parlamentswahlen am 1. November wohl nicht gereichen. Zumal mit der Opposition kein Termin eingeplant war.

Inhaltlich ging es der Kanzlerin bei den Treffen mit Erdogan und Premier Ahmet Davutoglu darum, den Aktionsplan, der in der Vorwoche auf einem EU-Gipfel beschlossen worden war, mit Leben zu erfüllen. Konkret: Die Türkei, die laut eigenen Angaben rund 2,5 Millionen Flüchtlinge beherbergt, soll ihre Grenzen besser sichern, damit weniger Migranten über Griechenland in die EU gelangen.

Im Gegenzug sagte Merkel zu, sich dafür einzusetzen, das Visa-Erleichterungen für Türken früher als geplant kommen, auch die Eröffnung neuer EU-Beitrittskapitel, wie etwa Wirtschaft oder Justiz, könne sie sich vorstellen. "Der (EU-)Prozess hat jetzt begonnen", fügte sie hinzu. Und dass Ankara zur Bewältigung der eigenen Flüchtlingsproblematik zusätzliches Geld wolle, "verstehe ich auch", so die Regierungschefin nach dem Treffen mit ihrem türkischen Kollegen (Ankara will drei Milliarden Euro). Über die Einstufung der Türkei als sicheres Herkunftsland sei nicht gesprochen worden, hieß es. Dies würde dem Land das Gütesiegel einer funktionierenden Demokratie verleihen. Dagegen laufen Kritiker Sturm – wegen der Unterdrückung der Kurden und der Meinungs- bzw. Pressefreiheit. Die Kanzlerin rief in diesem Kontext zur Versöhnung mit den Kurden auf.

Konkrete Übereinkünfte gab es keine. Doch allein die Tatsache, dass Merkel die Reise angetreten hatte, war eine große Geste an die Türkei, die – realpolitische Zwänge machen es notwendig – plötzlich wieder Partner ist. Allerdings ein selbst- und machtbewusster, der sein gutes Blatt auszureizen weiß. EU-Kommissar Günther Oettinger brachte es auf den Punkt: "Vor einem Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass die Kanzlerin als Bittstellerin in die Türkei fliegen muss."