Politik/Ausland

Der erste Wahl-Tag der Wahrheit

So kurz vor dem ersten Etappenziel müssen in Amerikas Politik-Familienbetrieb einfach alle ran. Also gehen Bill Clinton, schmal im Gesicht und grau geworden, und seine Tochter Chelsea, 35 und zum zweiten Mal schwanger, als Erste auf die improvisierte Bühne der Highschool von Cedar Rapids im verschlafenen US-Bundesstaat Iowa. Nachdem der Beifall verebbt, bringen sie das Publikum mit artigen Anekdoten über die Frau, die gleich im knallroten Mantel durch die Tür federn wird, auf Touren. "Ich kenn sie seit 45 Jahren. Sie ist einfach ein Weltklasse-Problemlöser", sagt Ehemann Bill. "Sie ist mein großes Vorbild", ergänzt die strahlende Tochter. Wie ein eingespieltes Moderatoren-Team umgarnen die beiden die 800 Zuhörer und versprechen nicht weniger als die "künftige erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika": Hillary Clinton.

Die Wähler am Wort

Schon heute Abend wird sich in Iowa zeigen, ob der familiär bedingte Optimismus der früheren "First Family" berechtigt ist. Im Frontstaat des Präsidentschafts-Wahlkampfes hat zum ersten Mal der Wähler das Wort.

Von der knapp eine Million wahlberechtigter Bewohner Iowas kommen die eingetragenen Anhänger beider großen Parteien in Gemeindesälen, Turnhallen oder im Esszimmer des größten Bauern im Umkreis zusammen. Im Stile einer Urwahl beratschlagen sie, wen Demokraten und Republikaner am besten in den Kampf ums Weiße Haus schicken sollten.

Engagiertes Palaver

Das engagierte Palaver, "Caucus" genannt, ist traditionell die erste Hürde auf dem langen Marsch zur Macht, der am 8. November entschieden wird. So viel kann man sagen: Nicht jeder Kandidat, der im "Caucus" triumphiert, landet am Ende auch im Oval Office. Aber wem schon hier die Puste ausgeht, der schafft es in der Regel auch nicht bis Washington.

Dass Hillary Clinton gute, wenn auch keine komfortabel guten Chancen besitzt, hat die Regionalzeitung Des Moines Register gerade erst veröffentlicht: 45 Prozent für Clinton, 42 Prozent für ihren sozialdemokratisch gestimmten Herausforderer Bernie Sanders.

Clinton möchte den Abstand verständlicherweise vergrößern. Darum sagt sie mit bebender Stimme: Dass sie nicht nur die konzeptionell bessere Kümmerin sei für die Anliegen der kämpfenden Mittelschicht. Sondern auch die einzige Kandidatin im Lager der Demokraten, "die von Tag eins an dank Erfahrung als Präsidentin voll regierungsfähig ist". Lautstarker Jubel. "Wir stehen zu dir"-Rufe. Jesse McCormick, ein Ingenieur aus dem nahe gelegenen Moline, nickt: "Man muss wirklich nicht alles an ihr mögen. Aber sie ist einfach erfahrener als alle anderen."

In einem 90 Kilometer entfernt liegenden Städtchen namens Clinton donnert indessen der in Umfragen vorn liegende Bannerträger der Republikaner: "Egal, ob ihr 40 Fieber habt oder sonst etwas – Leute, ihr müsst heute wählen gehen", bläute Donald Trump seinen 2000 Zuhörern ein. 28 Prozent der Stimmen werden dem Bautycoon prophezeit. Für seine Hauptkonkurrenten Ted Cruz, Senator aus Texas, und Marco Rubio, Senator aus Florida, soll bei 23 bzw. 15 Prozent die Glasdecke beginnen.

Weniger Schmähungen

Darum legte sich Trump am Wochenende noch einmal mächtig ins Zeug, pendelte in Iowa von einer gut besuchten Wahlkampf-Rallye zur nächsten, schrieb Dutzende Autogramme, schüttelt ganz gegen sein Naturell Hunderte Hände und reduzierte das, was ihn zuletzt selbst in den eigenen Reihen in Misskredit gebracht hatte: Die permanenten Schmähungen ("alle dumm und inkompetent") Andersdenkender; inklusive der amtierenden Regierung.

Stattdessen feilte der Milliardär weiter an seiner Standard-Rede: Eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, China einbremsen und dem Terror-Netzwerk Islamischer Staat "den Hintern aufreißen". Und er wiederholte das bekannte Trump’sche Mantra: Einer muss das Land revolutionieren, auf dass Amerika wieder "stolzer, reicher, sicherer, gefürchteter und erfolgreicher werden kann. Und dieser eine, das bin ich."

Unbehagen der Wähler

Für Marc Geslani, Verlags-Angestellter mit großer Neugier auf sämtliche Präsidentschaftskandidaten, ist diese Vorstellung sichtlich unbehaglich. Der 44-Jährige, der sich als Partei-Unabhängiger bezeichnete, ist seit einer Woche in Iowa unterwegs, um möglichst viele Kandidaten aus der Nähe zu erleben. Leuten wie Ted Cruz, Marco Rubio und Chris Christie hat Geslani schon die Hand geschüttelt. Vereinzelt gab es sogar "interessante Dialoge". Seiner Wahlentscheidung sei er dadurch zwar noch nicht viel nähergekommen, sagte Geslani. Aber eines sei ihm klarer geworden: "Ein Sieg von Donald Trump in Iowa über Ted Cruz würde zum ersten Mal seit sieben Monaten die Umfragen bestätigen. Das Trump-Phänomen würde sich als wahr herausstellen. Mit Iowa im Rücken könnte Donald Trump vielleicht nicht mehr zu bremsen sein."

Zitate aus dem Vorwahlkampf

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Wer erinnert sich nicht an "Yes, we can", das bestechend einfache Motto, mit dem Barack Obama 2008 die Präsidentenwahlen gewann? Heute ist in den USA nur das Gegenteil von Aufbruchsstimmung zu spüren. Wer dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zuhört, bekommt den Eindruck, dass der wirtschaftliche und moralische Untergang der USA bevorsteht und das Land demnächst von Immigrantenmassen überrannt wird. Auf der Welle aus Wut und Angst vieler amerikanischer Wohlstandsverlierer – und die gibt es zuhauf – schwimmt Trump ganz oben. Am Ende des linken Wählerspektrums sammelt wiederum der selbst ernannte "amerikanische Sozialist" Bernie Sanders die Stimmen der Wutbürger ein.

Der Zorn der Wähler auf ihr politisches Establishment, er ist offenbar das tragende Motiv des Wahljahres 2016. Und keiner nutzt ihn besser für seine Zwecke als der von Größenwahn befallene Bautycoon. Bis heute konnte man hoffen, das der Medienrummel Trump bedeutsamer gemacht hat, als er in Wirklichkeit ist. Die Wähler in Iowa werden ihn einem ersten Realitätscheck unterziehen. Doch zu befürchten ist: So echt Frust und Wut der Wähler sind, so echt ist wohl auch Trump.