Dänemark ist in der Asylpolitik restriktiv – wie es Flüchtlingen damit geht, wenn sie ihre Familien nicht nachholen dürfen.
Rami und Hussein haben als Kinder miteinander gespielt und später gemeinsam studiert. Hussein wurde Zahnarzt, Rami Allgemeinmediziner. Sie sitzen am Gehsteig vor der Einwanderungsbehörde in Kopenhagen.
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"Wer hätte das gedacht", sagt der 37-jährige Rami. Er legt das Gesicht in die Hände und versteckt ein fatalistisches Lächeln. "Es ist absurd. Wir sind als Flüchtlinge hier, unsere Familien noch in Syrien und wir können sie nicht zu uns holen."
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Laut neuem dänischen Asylgesetz haben Flüchtlinge im ersten Jahr kein Anrecht auf Familienzusammenführung. Deshalb demonstrieren Rami und Hussein mit anderen Männern vor der Behörde. Viele von ihnen sind aber schon länger als ein Jahr hier. Auch Hussein: "Seit zwei Jahren bekomme ich keine Informationen, ob meine Frau und die Kinder endlich kommen dürfen. "Ich kann nicht weiterleben, wenn ich nicht weiß, was mit ihnen ist." Er zeigt Fotos von seinen Kindern, die unter einem riesigen Loch im Dach eines Hauses sitzen.
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Unterstützt werden die Männer von
Annika Holm Nielsen. Die 24-jährige Studentin und politische Aktivistin brachte mit ihrem Boot Flüchtlinge nach
Schweden, nachdem die dänische
Polizei die Züge mit Asylsuchenden gestoppt hatte. Obwohl darauf bis zu zwei Jahre Gefängnis stehen, würde sie es wieder tun. "Politiker in
Dänemark und
Europa müssen endlich Verantwortung übernehmen und handeln. Derzeit tut es die Zivilgesellschaft – ich, meine Familie und Freunde." Sie hofft, dass der Druck aus der Bevölkerung die Politiker zu einem milderen Kurs zwingt. "Diese Männer und ihre Familien sollen eine Chance bekommen, sich zu integrieren und Teil der Gesellschaft zu werden."
Die restriktive Einwanderungspolitik verhindert das, ist Nielsen überzeugt. Zuletzt wurden Sozialleistungen für Ausländer um die Hälfte gekürzt. Die Menschen müssen in einem der teuersten EU-Länder mit 800 Euro monatlich auskommen. Das größere Problem ist aber für viele der befristete Aufenthaltsstatus, wie für die 35-jährige palästinensische Syrerin Maggi. Auch ihr Fall wird nach fünf Jahren erneut überprüft und entschieden, ob sie bleiben darf. Sie hat Angst. "Ich habe in Syrien alles verloren. Ich will mir eine Zukunft aufbauen, aber was passiert, wenn ich wieder zurück muss?" Vor einem Jahr kam sie nach Dänemark – von Athen per Flugzeug. Nach sechs Monaten in einem Flüchtlingslager bekam sie ihren positiven Bescheid und eine Unterkunft.
"Was würdest du tun?"
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Maggi zeigt auf dem Handy Fotos von ihrem Leben in
Damaskus: Eine lachende Frau mit offenem, braunem Haar, die auf einer Hochzeit tanzt. "Ich hatte einen tollen Job als Projektmanagerin, bin viel gereist." Nie hätte sie für möglich gehalten, alles zu verlieren. "Bei den ersten Aufständen vor vier Jahren habe ich mehr
Lebensmittel eingekauft und eingefroren." Als vor ihrer Haustür ein abgeschlagener Schädel in einer Kartoffelkiste lag, änderte sich alles. Ihre Familie zog insgesamt fünf Mal um. Das Land zu verlassen, war ihre letzte Option. "Was würdest du tun, wenn du in dieser Situation die Chance hast, mit deiner Familie an einen sicheren Ort zu gehen, aber alles hinter dir lassen musst – Haus,
Auto, Arbeit, Freunde?" Maggi floh. Allerdings nicht zusammen mit ihrer Familie, jeder für sich. Zuerst stieg sie in ein Boot, das sie in die
Türkei bringen sollte - dafür musste sie zirka 2000 Euro zahlen. Sechs Stunden saß sie eingepfercht neben unzähligen anderen Flüchtlingen, bekam kaum Luft. Danach gelangte sie mit einer normalen Fähre von
Bodrum nach
Athen und schließlich nach drei Versuchen nach
Kopenhagen.
Im Nachhinein bereut sie, dass sie nicht nach Schweden ging. Dort werden Flüchtlinge nach vier Jahre eingebürgert. Staatenlose wie Palästinenser schon nach zwei Jahren. Und ihre Familien dürfen früher nachkommen. "Die Dänen sind wirklich sehr freundlich und hilfsbereit, aber es ist schwierig, Arbeit zu finden. Ich habe studiert, spreche perfekt Englisch, aber kaum Dänisch, weil es für mich schwierig ist, die Sprache zu lernen." Maggi würde mit ihren Qualifikationen gerne auch in anderen EU-Ländern arbeiten, allerdings verliert sie dann ihren Status in Dänemark. "Mir wird oft vorgeschlagen, ein unbezahltes Praktikum zu machen. Es frustriert mich, denn ich habe immer hart gearbeitet. Ich möchte Geld verdienen, Steuern zahlen, niemanden zur Last fallen und wieder unabhängig sein."
An eine bessere Zukunft denken auch Rami und Hussein vor der Einwanderungsbehörde. "Wir sind Dänemark dankbar, wir akzeptieren die neuen Regeln. Aber wir wollen, dass sie mit uns reden und uns sagen, wie es weitergehen wird. Wir sind in Europa – und wir wollen auch wie Menschen behandelt werden."
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Dieser
Bericht entstand im Rahmen von
"Eurotours 2015", einem Projekt des Bundespressedienstes im
Bundeskanzleramt, finanziert aus Bundesmitteln.
Erschöpft lässt sich Mohammed, 41, auf den Sitz im Zugwaggon fallen. Seine Frau nimmt gegenüber Platz, zieht die Tochter zu sich und reicht den einjährige Sohn an ihren Mann weiter. Der Bub ist im Gegensatz zu seinen Eltern nicht müde, rutscht am Schoß seines Vaters herum. Mit großen Augen sieht er die anderen Fahrgäste an, lächelt. Manche lächeln zurück, andere drehen sich weg. Mohammed hält das Zugticket fest in der Hand - das Ziel der Familie: Malmö. Seit 15 Tagen ist er mit Frau und Kindern unterwegs. Von der Türkei kamen sie auf die griechische Insel Kos. Dort, sagt Mohammed, war es furchtbar. "Eine kleine Insel, viele Menschen, alle wollten weg." Seine Familie zog weiter nach Mazedonien und Ungarn. Über Österreich kamen sie nach Deutschland - und von Hamburg auf den Kopenhagener Bahnhof. Mohammed fragt, wie es in Schweden ist. Er habe bisher nur Gutes gehört, von Dänemark nicht, seine Familie wollte sofort weg. Die strengen Regeln der dänischen Regierung haben dem Land ein ausländerfeindliches Image verpasst. Das sprach sich in sozialen Netzwerken unter Asylsuchenden schnell herum - dafür hätte es vermutlich auch nicht die Anzeigen der dänischen Regierung gebraucht, die in vier großen libanesischen Tageszeitungen geschaltet wurden. Darin listen sie auf, warum es sich nicht lohnt, nach Dänemark zu flüchten.
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Die vielen freiwilligen Helfer und Aktivisten am Bahnhof und Flughafen von kopenhagen sind da anderer Meinung: "Refugees Welcome" steht auf Plakaten. Während der Zug nach Schweden kurz am Flughafen stehen bleibt, laufen sie mit Essenspaketen und Getränken zu den Waggons und reichen sie den Flüchtlingen.
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Zwanzig Minuten später erreicht der Zug die "Central Station" in Malmö. Dort versorgen Sara Fridlund, Gruppenleiterin des örtlichen Roten Kreuz, und ihr Team ankommende Flüchtlinge mit Wasser und Medikamenten. "Heute morgen warteten bereits einige Hundert Menschen in der Ankunftshalle, sie sind mit den Nacht-Zügen gekommen. Einige waren verletzt, da sie während der Flucht geschlagen oder misshandelt wurden. Auch eine Schwangere mussten wir zur Untersuchung ins Krankenhaus einliefern."
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Während sich noch einige Erwachsene auf Sitzbänken oder Decken am Boden ausruhen, laufen ein paar Kinder vergnügt durch die Halle. Helfer spielen mit manchen Ball oder geben ihnen Papier und Buntstifte zum Malen. Andere verteilen an deren Eltern Sim-Karten oder helfen beim Kauf von Tickets. Für viele Asylsuchende geht die Reise weiter. Nach Stockholm, Göteborg oder andere Länder wie Norwegen und Finnland.