Politik/Ausland

Die Krisen, über die die Welt nicht spricht - aber sollte

Während die Kriege in der Ukraine und in Gaza täglich prominent in Zeitungen und Fernsehnachrichten vorkommen, haben die humanitären Krisen in Sambia, Mauretanien oder Simbabwe hierzulande wohl nur die wenigsten am Schirm.

Um etwas gegen dieses Ungleichgewicht zu tun und zumindest punktuell ein Schlaglicht auf diese vergessenen Krisen der Erde zu werfen, veröffentlicht die Hilfsorganisation Care jährlich ihren Report „Breaking the Silence“ (dt.: das Schweigen brechen, Anm.).

Die zehn "vergessensten" Krisen spielen sich in Afrika ab

Wobei „der Erde“ in diesem Fall „Afrikas“ bedeutet: Denn die zehn Krisen, über die laut dem heute, Donnerstag, veröffentlichten Report im Jahr 2023 am wenigsten berichtet wurde, spielen sich allesamt dort ab.

Allen voran in Angola: Obwohl Dürren, Überschwemmungen und Hunger in dem südwestafrikanischen Land dafür sorgen, dass mehr als sieben Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen, wurden zwischen Jänner und September 2023 gerade einmal 1.049 Online-Artikel zu dem Thema gefunden. 

Zum Vergleich: Zum neuen Barbie-Film waren es im selben Zeitraum 273.279, zur „Eras“-Welttournee von Pop-Superstar Taylor Swift 163.368.

Für den „Breaking the Silence“-Report analysierte Care in Zusammenarbeit mit dem Medienbeobachtungsdienst Meltwater rund fünf Millionen Online-Artikel auf Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch, die zwischen 1. Jänner und 30. September 2023 veröffentlicht wurden.

Diese wurden dann mit 48 humanitären Krisen, die zumindest eine Million Menschen im jeweiligen Land betreffen, abgeglichen und so jene zehn ermittelt, die im Untersuchungszeitraum die geringste mediale Präsenz erhielten.

„Es ist klar, dass neuere Ereignisse wie die Erdbeben in Syrien und der Türkei, der Ukraine-Krieg sowie der eskalierende Konflikt im Nahen Osten die Schlagzeilen dominieren. Viele Krisen in Afrika existieren seit langer Zeit, dementsprechend schwierig ist die Berichterstattung“, sagt Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von Care Österreich.

Der Klimawandel verursacht immer größeres Leid

Nach Angola folgt auf dem zweiten Platz Sambia, wo 1,35 Millionen Menschen von Hunger betroffen sind. Das Land leidet besonders unter den Folgen des Klimawandels, auf Überflutungen folgen monatelange Dürren.

Ähnliches gilt auch für Platz drei der vergessenen Krisen: In Burundi kämpft die Bevölkerung regelmäßig gegen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen. Fast 70.000 Menschen wurden dadurch vertrieben, Unterernährung ist besonders bei Kindern ein großes Problem. Im vergangenen Sommer waren mehr als zwei Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, rund eine viertel Million Menschen war Anfang des Jahres in Nachbarstaaten auf der Flucht.

1. Angola – 7,3 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe, 1.049 Berichte
2. Sambia – 1,35 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen, 1.371 Berichte
3. Burundi – 5,6 Millionen Kinder leiden an chronischer Unterernährung, 3.939 Berichte
4. Senegal – 1,4 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, 5.469 Berichte
5. Mauretanien – Jeder vierte Mensch lebt in Armut, 7.764 Berichte
6. Zentralafrikanische Republik – Sechsthöchste Kindersterblichkeit weltweit, 8.274 Berichte
7. Kamerun – Jeder sechste Mensch braucht humanitäre Hilfe, 10.8801 Berichte
8. Burkina Faso – 8,8 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, 11.323 Berichte
9. Uganda – Müttersterblichkeit liegt bei 284 je 100.000 Lebendgeburten, 12.632 Berichte
10. Simbabwe – Knapp 8 Millionen Menschen von extremer Armut betroffen, 14.440 Berichte

Laut den Vereinten Nationen werden 2024 weltweit fast 300 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen, knapp die Hälfte davon in Afrika. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Hunger fast immer menschengemacht ist. Konflikte, ökonomische Schocks, Wetterextreme, Armut und Ungleichheit sind wesentliche Treiber“, sagt Deepmala Mahla, Direktorin für Humanitäre Hilfe bei Care International.

Um Leben zu retten, brauche es neben mehr Aufmerksamkeit eine ausreichende Finanzierung. „Im vergangenen Jahr wurden nur 35 Prozent der benötigten finanziellen Mittel für humanitäre Hilfe bereitgestellt, das ist definitiv zu wenig“, kritisiert Mahla.

Auch der Senegal pendelt zwischen Dürre und Flut

Hilfe wird auch im Senegal benötigt, und auch hier ist es die Klimakrise, die die Not immer weiter verschärft. Die Phänomene sind beinahe überall dieselben: Regen- und Trockenzeiten werden nicht nur unzuverlässiger, sondern vor allem auch extremer. Regenfälle werden schnell zu Überschwemmungen, zunehmende Hitze und Trockenheit führt zu immer längeren Dürreperioden.

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Platz fünf, Mauretanien, dieselbe Geschichte. Das Land am westlichen Rand der Sahara gehört ohnehin zu den ärmsten der Welt. War die Region lange Zeit vor allem durch Trockenheit geprägt, brachten die vergangenen beiden Jahre plötzlich heftige Niederschläge, die der Boden nicht aufnehmen konnte.

Die Folge: Überschwemmungen, tote Menschen, totes Vieh, vernichtete Ernten und Existenzen. Eine halbe Million der knapp fünf Millionen Einwohner hatte 2023 nicht genug zu essen, insgesamt war mehr als eine Million auf humanitäre Hilfe angewiesen.

„In einer Welt, in der die Nachrichtenzyklen kurzlebiger werden, ist es umso wichtiger, dass wir uns gemeinsam daran erinnern, dass jede Krise, ob vergessen oder nicht, menschliche Tragödien mit sich bringt. Unsere Verpflichtung, diese Geschichten zu erzählen und zu handeln, ist heute dringender denn je“, sagt Care-Österreich-Chefin Barschdorf-Hager.

Hier gibt es den ausführlichen Report zum Download