Cameron: "Ich will nicht das kleine England"
Es wird knapp. Laut einer Umfrage des Instituts WhatUKThinks, das einen täglichen Wasserstandsbericht über die Stimmungslage im Vereinigten Königreich liefert, lagen die Befürworter eines Austritts Großbritanniens aus der EU am 5. Juni erstmals seit Längerem wieder vorne. 48 Prozent sprachen sich für einen Austritt aus. 43 Prozent dagegen. Neun Prozent waren noch unentschlossen.
Vor allem um diese noch Unschlüssigen ritterten die Wortführer der jeweiligen Stoßrichtung, gegen und für einen Austritt, der konservative Premier David Cameron und der rechtspopulistische UKIP-Chef Nigel Farage, gestern in einer TV-Konfrontation. Dabei gerieten sie nicht direkt aneinander, sondern stellten sich je 30 Minuten lang hintereinander live den teils sehr kritischen Fragen des Studiopublikums.
"Massenimmigration"
Aus Sicht Farages, so viel ließen seine knappen Antworten gestern klar erkennen, ist die EU schuld an der „Massenimmigration“. „Wir haben so viel Zuwanderung, dass wir Tag und Nacht, alle vier Minuten ein Haus bauen müssten, um alle Immigranten unterzubringen“, sagte der UKIP-Chef. Er trat für Grenzkontrollen ein und äußerte zudem die Überzeugung, dass ein EU-Austritt Großbritannien wirtschaftlich nicht schaden würde.
Und auch der britische Handel habe nichts zu befürchten: „Dafür braucht man die Personenfreizügigkeit der EU nicht.“ Zudem seien alle Kosten für Zölle, die Großbritannien vielleicht wieder aufbringen müsste, immer noch niedriger als der jährliche britische Beitrag an die EU, sagte Farage.
Jobs gehen verloren
Premier David Cameron beharrte wiederum darauf, dass bei einem „Brexit“ (Austritt aus der EU), Großbritannien sehr wohl sehr viele Jobs verlieren würde. Die Immigration müsse streng kontrolliert werden, gab er zu, und erwähnte dabei, dass die Regierung die Zuwendungen für Immigranten bereits gekürzt habe. Aber eine Zukunft außerhalb der EU ? „Ich will nicht das kleine England von Nigel Farage sein“, sagte der konservative Premier, „ich werde für ein großes Britannien kämpfen.“
Hoch emotional appellierte Cameron an die Zuseher: „Wenn Sie ihr Land lieben, sollten Sie es nicht beschädigen.“ Und ein Brexit, das wäre ein Verlust an Souveränität, eine Möglichkeit weniger, beim EU-Markt mitzureden. „Großbritannien muss in der EU bleiben, um für britische Interessen und Jobs zu kämpfen.“
Was die offizielle "Leave"-Kampagne (für den Austritt) besonders empört: Der Rechtspopulist Farage ist nicht einmal Mitglied der "Leave"-Kampagne, die überwiegend von konservativen Tory-Regierungsmitgliedern und Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson getragen wird. Cameron aber hatte sich geweigert, in TV-Duellen rund um den "Brexit" gegen seine eigenen Parteikollegen vor die Kameras zu treten.
Mehr Migranten
Vom Europaparlament kommen indes unmissverständliche Signale: Sei Großbritannien erst einmal aus der EU ausgestiegen, gebe es kein Zurück mehr, warnte Elmar Brok (CDU). Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses sagte, im Falle eines Sieges der britischen EU-Gegner beim Referendum am 23. Juni werde es keine Gespräche über neue oder bessere Beitrittsbedingungen geben. Wenig Hoffnung macht Brok den britischen EU-Skeptikern auch mit der Vermutung, dass ein Großbritannien außerhalb der EU seine Zuwanderung bremsen könne: "Die Briten müssen nur sehen, dass der Schutz, den sie durch uns haben, etwa durch die Franzosen in Calais, dann wegfallen würde." Die britische Lage in Sachen Migration würde sich also eher noch verschlechtern.
Auch der Fraktionsvorsitzender der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, sieht das so: Ein Abkommen zwischen Frankreich, Großbritannien und Irland, mit dem die britischen Grenzkontrollen de facto auf französisches Territorium verlagert würden, sei mit einer Frist von zwei Jahren kündbar. "Ohne dieses Abkommen wird Großbritannien mit Abertausenden von Migranten konfrontiert sein."