Politik/Ausland

"Wir Briten müssen uns nicht entschuldigen"

Phillip Blond, Chef und Vordenker des konservativen britischen Thinktanks "Res Publica", ist seit Jahren einer der wichtigsten und maßgeblichsten Berater von Premier David Cameron.

KURIER: Wie erklären Sie sich den Sieg der anti-europäischen UKIP bei den Europawahlen in Großbritannien?

Phillip Blond: Der Hauptgrund, warum die Briten UKIP gewählt haben, ist nicht, dass sie gegen Europa sind, sondern, dass sie gegen das sind, was sie mit Europa verbinden. Und das ist eine Zuwanderung, die überhand nimmt, Globalisierung, Regierungen, die von den Bürgern weit entfernt sind, und politisch korrekte Verhaltensnormen, die Minderheitenrechte ausbauen, allerdings auf Kosten der Mehrheit.

Was hat rechtspopulistische Parteien auch diesmal so attraktiv gemacht?

Diese rechtspopulistischen Parteien stehen einfach für eine umfassende, aus vielen Aspekten zusammengesetzte Unzufriedenheit. Sie werden wachsen, bis die etablierten Parteien etwas anbieten, das die Menschen in ihrer momentanen Situation wieder direkt anspricht. Um auf diese verbreitete Unzufriedenheit zu antworten, brauchen die nationalen Parlamente einfach wieder eine gewichtigere Stimme.

Marine le Pen hat nicht umsonst gesagt, dass die politische Front in Europa jetzt zwischen Globalisierung und Nationalisierung verläuft. Die Menschen wollen einfach nicht von außerhalb ihrer Grenzen regiert werden.

Wie kann die Politik mit der wachsenden Ausländerfeindlichkeit umgehen?

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Diese Ideen sind überall in Europa präsent. Es gibt diese weitverbreiteten Ängste vor offenen Grenzen, aber auch vor vielen anderen Mechanismen, nach denen die EU funktioniert. Um die Glaubwürdigkeit der EU zu erhalten, müssen wir einfach streng trennen: Zwischen der EU-weiten Bewegungsfreiheit für Arbeitskräfte und einem Anspruch, der nirgendwo geschrieben steht, nämlich dorthin umzuziehen, wo das Sozialsystem mehr anbietet als im eigenen Land. Es ist auch für Großbritannien durchaus vernünftig: Den Zugang zu unserem Sozialsystem für Zuwanderer genau zu regeln.

Worin wurzelt die allgemeine politische Unzufriedenheit?

Wir haben Systeme, in denen die Linke einen kollabierenden Wohlfahrtsstaat anbietet und die Rechte gesellschaftlichen Liberalismus und eine versagende Marktwirtschaft: Also den immer gleichen Kompromiss zwischen links und rechts, der den Menschen das immer gleiche politische Angebot macht. Die aber suchen wenig überraschend jetzt das genaue Gegenteil: Sie suchen gesellschaftlichen Konservativismus. Sie wollen Nationen, nicht Globalisierung. Und sie entscheiden sich für wirtschaftlichen Protektionismus, weil das derzeitige Wirtschaftssystem einer steigenden Anzahl an Menschen nichts anzubieten hat außer weitere wirtschaftliche Unsicherheit.

Leidet die EU nicht chronisch am britischen Egoismus?

Die Franzosen kämpfen mit allen Mitteln für ihre Landwirtschaft, die Deutschen wollen ihre Autoindustrie und ihr Sparkassensystem retten. Jedes Mitgliedsland hat starke Eigeninteressen. Wir sind da nicht die Einzigen. Ich glaube, wir Briten müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir heikle Fragen über die Bedeutung und die Konsequenzen einiger Entscheidungen der EU stellen.

Fordert Großbritannien nicht ständig Ausnahmen für sich?

Premier David Cameron hat keine Liste von Ausnahmen für Großbritannien. Worüber er spricht, sind einfach die Probleme, vor denen Europa steht: Der Verlust an Konkurrenzfähigkeit gegenüber den USA und vielen Schwellenländern. Wachsende Unzufriedenheit der Menschen über die weltfremde Weise, in der die EU Entscheidungen trifft. Das ungelöste Problem, wie man die Beziehungen zwischen den EU-Staaten regelt, die sich immer stärker voneinander unterscheiden: Nicht jedes EU-Mitglied will sich eben gleich stark und in allen Politik-Bereichen integrieren.

Ein Europa der zwei oder mehr Geschwindigkeiten?

Es sollte jedem Staat überlassen sein, sein eigenes Sozialsystem zu gestalten. Oder was die Energiepolitik betrifft: Wenn Deutschland die Energiewende will, dann ist das seine Entscheidung, aber sie wäre nicht richtig für uns oder etwa für Polen.

Wir brauchen strikte Regelungen für Treibhausgas-Emissionen, aber es sollte jedem Land selbst überlassen sein, wie es diese Ziele erreicht.

Ist der Austritt Großbritanniens aus der EU eigentlich noch zu stoppen?

Eine ordentlich geführte Kampagne, die den Menschen klarmacht, welche Vorteile die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens bringt, könnte eine Mehrheit für einen Verbleib in der EU bekommen. Aber es ist alles andere als sicher, dass wir eine solche Kampagne erleben werden. Derzeit hat keine der großen Parteien die Persönlichkeiten oder die Argumente, um das glaubwürdig zu vertreten. Wir brauchen eine patriotische pro-europäische Kampagne, die Großbritannien als in Zukunft Europas führende Macht präsentiert. Ich bin nämlich überzeugt, dass wir genau das sein werden.