Boston: Polizei fahndet nach zwei Verdächtigen
Verwirrung um die mögliche Festnahme eines Tatverdächtigen zwei Tage nach dem Bombenanschlag beim Marathon in Boston: Laut Berichten von CNN und Boston Globe sei ein Verdächtiger anhand von Bildern der Videoüberwachung vor einem Kaufhaus und der Bilder einer lokalen TV-Station identifiziert worden. Die Aufnahmen seien vor dem Anschlag gemacht worden und zeigten einen Mann, der eine schwarze Tasche an der Stelle abstellte, wo sich später die beiden Explosionen ereigneten, die drei Menschen in den Tod rissen und 180 verletzten.
Kurz danach dementierte die Bostoner Polizei via Twitter die Festnahme. Eine Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Außenminister John Kerry hatte zuvor Spekulationen abgelehnt, ob es sich bei den Urhebern des Anschlages um ausländische Täter handle, oder ob man es mit einem „homegrown“ Anschlag, also der Tat radikaler Amerikaner, zu tun habe.
Wie der Sender CNN berichtete, suchen die Fahnder nach zwei verdächtigen Männern, die am Tag des Anschlags nahe der Marathon-Ziellinie fotografiert worden waren. Einer der Männer habe einen schwarzen Rucksack getragen. Zudem sei ein Verdächtiger mit einer weißen Baseball-Kappe, einem hellen Kapuzenshirt und einer schwarzen Jacke bekleidet gewesen, hieß es unter Berufung auf zwei mit den Ermittlungen vertraute Behördenvertreter. Es sei bisher aber noch nicht gelungen, die Verdächtigen namentlich zu identifizieren.
Die Ermittlungen des FBI laufen seit der Bluttat auf Höchsttouren. Tausende Beweisstücke wurden gesichtet, von Schrapnellen, die aus den Verletzten herausoperiert wurden, bis zu Fetzen jener Säcke, in denen die Druckkochtöpfe mit den beiden Bomben in schwarzen Taschen versteckt waren. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Handyfotos- und Videoaufnahmen vom Tatort zur Verfügung zu stellen.
Gericht evakuiert
Zwei Tage nach dem Anschlag auf den Marathon in Boston haben Sicherheitskräfte das Bundesgericht der US-Metropole evakuiert. Anwälte, Gerichtsbedienstete und Medienvertreter wurden zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert. Laut der Zeitung Boston Herald durfte das Gebäude am späten Nachmittag wieder betreten werden - ein Fehlalarm wird vermutet.
Inzwischen hat sich auch der Vater des bei dem Anschlag ums Leben gekommenen achtjährigen Martin Richard zu Wort gemeldet. Der Bub ist für viele Menschen zum Ausdruck ihrer fassungslosen Trauer geworden. Auch Martins Schwester und Mutter seien schwer verletzt worden, teilte der Vater mit. Die Schwester habe ein Bein verloren, die Mutter schwebt in Lebensgefahr. „Wir danken allen für ihr Mitgefühl und ihre Gebete“, sagte Bill Richard. Zugleich bat er, die Privatsphäre seiner Familie zu achten. Das Wohnhaus der Richards wurde von der Polizei abgeriegelt. Freunde legten Kerzen, Blumen und Teddybären nieder.
Auf Facebook verbreitete sich das Foto des Buben rasant. Lucia Brawley, eine Freundin seiner Volksschullehrerin, hatte es ins Netz gestellt. Der Bub hält ein selbstgebasteltes Poster hoch, auf dem die Worte stehen: „No more hurting people. Peace.“ Lucia Brawley sagte CNN: „Der einzige Weg, mit dieser Tragödie umzugehen, war, dieses Bild zu teilen, weil Martins Worte eine deutlichere Sprache sprechen als alles, was ich sagen kann.“
Die beiden anderen Todesopfer sind die Kellnerin Krystle Campbell, 29, und eine chinesische Studentin.
Nach einer Nachtwache am Dienstag nahm Präsident Obama am Donnerstag an einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Anschlags teil:
Der Marathon in Boston, so wurde gestern mitgeteilt, soll im kommenden Jahr wieder abgehalten werden, auch als Symbol dafür, dass sich die Nation von Terror nicht beugen lässt.
Es ist alles so schnell gegangen. Ich habe die Läufer beobachtet und wollte meinen Mann in Empfang nehmen. Auf einmal gab es einen riesigen Knall und eine weiße Wolke ist aufgestiegen.“ In den schrecklichen Sekunden des Bostoner Marathons stand Doris Korcak nur 200 Meter hinter der Ziellinie. Ihr Mann sollte sie nicht überqueren. Thomas Korcak wurde 600 Meter vorher gemeinsam mit Hunderten anderen Läufern von der Polizei gestoppt.
Das Grazer Ehepaar blieb unverletzt. „Ich habe die Explosion nicht einmal gespürt. Nur gesehen. Auf einmal sind alle schreiend in meine Richtung gelaufen. Die Polizei hat hin und her geschrien, sie erwarten noch mehr Bomben“, schildert Doris Korcak. „Mein erster Gedanke war, irgendetwas muss ich jetzt tun. Ich bin die Strecke abgegangen, aber habe meinen Mann nicht gefunden.“
Das Handynetz war zu diesem Zeitpunkt deaktiviert, das Gebiet abgeriegelt. „Es sind viele Angehörige herumgelaufen und haben Namen geschrien. Als ich wieder denken konnte, habe ich angefangen zu rechnen. Irgendwann war ich mir sicher: Es ist zu früh. Mein Mann war noch nicht an der Unglücksstelle“, erzählt Korcak. Erst drei Stunden später konnte sie ihn im Hotel endlich wieder in die Arme schließen.
Andrea und Thomas Simeth aus Wals bei Salzburg sitzen am Dienstag in ihrem Hotel vor dem Fernseher und schauen Nachrichten. In 3:53 Stunden absolvierten die 47-Jährigen ihren ersten Boston Marathon – alles unwichtig, angesichts der Ereignisse am Montag. „Uns geht’s gut. Wir sind eine Viertelstunde vor dem Anschlag ins Ziel gekommen“, erzählt Andrea Simeth. Die beiden waren auf dem Weg zur Gepäckrückgabe, als die beiden Bomben hochgingen, 300 Meter vom Ehepaar entfernt.
Ein Unfall?
„Rauch ist aufgestiegen. Aber niemand hat realisiert, was gerade passiert ist. Wir haben gedacht, das war ein Unfall.“ Angst hatte Simeth nicht; auch Panik habe es keine gegeben. „Polizisten haben Straßen abgesperrt und ein Haus evakuiert, aber es ist total ruhig abgelaufen“, berichtet Simeth. „Es ist unvorstellbar. Es war so eine tolle Stimmung. Man läuft durch friedliche Orte, Menschen sitzen vor den Häusern, und es spielen Bands. Wer ist so wahnsinnig und missbraucht so ein Sportevent?“
Die fröhliche, tolle Stimmung vor dem Anschlag beeindruckt auch die routinierten Marathonläufer Norbert Albrecht (72) aus Enns und seinen Freund Franz Hofer (52) aus Ernsthofen. „Es ist traurig, dass eine derart lustige und freudvolle Veranstaltung ein solches Ende nimmt. Die Betroffenen haben mein Beileid“, sagt Hofer leise. „Ich wage gar nicht zu denken, was passiert wäre, wenn die Bomben wo anders platziert gewesen wären – etwa bei der riesigen, bis zum letzten Platz gefüllten Tribüne kurz vor dem Ziel.“
Hofer war zehn Minuten vor dem ersten Knall ins Ziel eingelaufen – „und damit im sicheren Bereich“. Sein Läuferfreund Albrecht wurde einige Hundert Meter vor dem Ziel in eine Seitenstraße manövriert. „Ich hatte keine Ahnung, was los ist. Dann riefen Leute ,the bomb, the bomb‘! Ununterbrochen jaulten die schrillen Sirenen von Rettung, Polizei, Feuerwehr. Innerhalb kürzester Zeit waren überall schwer bewaffnete Soldaten positioniert.“
Josef Egger, Reiseleiter von „Runners unlimited“ aus Vösendorf, steht knapp vor der Ziellinie, als die Bomben hochgehen. Seine Sorge gilt zehn Läufern aus Österreich, die beim Marathon unterwegs sind – darunter Hofer und Albrecht. „Von vier wusste ich nicht sofort, wo sie sind.“ Es dauerte, bis von allen die Entwarnung kommt: „Wir waren unglaublich froh, alle wohlbehalten wiederzusehen. Das wahre Ausmaß erfuhren wir aber erst später.“
Späte ErleichterungHelmut Kastl aus Lasberg (OÖ) war längst im Ziel, als es passierte. Wegen einer Zerrung fuhr er dann gleich mit seiner Frau zurück ins Hotel. „Die Stadt befindet sich noch immer im Ausnahmezustand“, sagt der 51-jährige voestalpine-Mitarbeiter. „Uns wurde aber versichert, dass wir ohne Probleme abreisen können.“