Politik/Ausland

Politischer Rasen: Reichstagswiese als Gräberfeld

Den Touristen vor dem deutschen Bundestag stand der Schreck ins Gesicht geschrieben: Hunderte Menschen rissen am Sonntagnachmittag die Absperrungen rund um das Reichstagsgebäude nieder – um auf der Wiese davor Grabstellen auszuheben.

Ihre Aktion war natürlich eine symbolische. „Grenzen töten“, war auf den Transparenten zu lesen, „Bleiberecht für alle“, skandierten einige mit lauter Stimme: Die etwa 5000 Demonstranten, die laut Veranstalter dem Protestzug angehörten, wiesen mit plakativen Mitteln auf die nicht enden wollende Flüchtlingstragödie im Mittelmeer hin. Das „Zentrum für politische Schönheit“, ein Künstlerkollektiv aus Berlin, hatte dazu aufgerufen - ein Friedhof mitten im politischen Zentrum der deutschen Hauptstadt sollte die Tausenden Toten ins Bewusstsein rücken. Zuvor hatten die Aktivisten bereits zwei ertrunkene Flüchtlinge auf Berliner Friedhöfen beerdigt – unter gewaltigem Medienrummel (mehr dazu hier).

Skaetboards & Schaufeln

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Auch heute waren zu Beginn der Demonstration mehr Fotografen als Aktivisten zu sehen. Allein, die Behörden spielten beim ursprünglichen Plan der Künstler nicht ganz mit: Die eigentlich geplante Fahrt mit einem Bagger vor das Kanzleramt wurde untersagt, auch das Betreten der Grünfläche vor dem Sitz Angelas Merkels war nicht möglich. Die Demonstranten wichen deshalb auf die angrenzende Reichstagswiese aus. Gegraben wurde dabei mit allem, was man gerade mit hatte: Neben den eigenen Händen kamen auch Schaufeln und sogar Skateboards zu Einsatz. Die Polizei, in Berlin an Demos und Ausschreitungen gewöhnt, beobachtete das Treiben ruhig – vereinzelt kam es zu Festnahmen, zumeist griffen die Polizisten aber nur schlichtend ein.

Wie groß der Nachhall der Aktion sein wird, muss sich erst zeigen. Beinahe alle Medien in der deutschen Hauptstadt thematisieren und problematisierten die Aktionen des „Zentrums für politische Schönheit“ – das Publikum schien aber eher unbeeindruckt. Weder die Zuhörer beim Staatskapellenkonzert, das Dirigent Daniel Barenboim zufälligerweise nahe dem Anfangspunkt der Protestzugs gab, noch die Teilnehmer des „Tag des Yoga“, der vor dem Brandenburger Tor zelebriert wurde, ließen sich durch die Parolen aus der Ruhe bringen. Das war den Touristen vorbehalten.