Politik/Ausland

Nach Berlin-Terror: Ist das IS-Bekenntnis echt?

Noch ist nicht gesichert, wer das verheerende Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin ausgeführt hat. Der sogenannte "Islamische Staat" hat sich allerdings schon zur Tat bekannt. Oder hat er das?

Im Internet ist am Tag nach dem Anschlag ein Bekennerschreiben aufgetaucht. Es stammt angeblich von Amaq, einem Online-Medium, das als Nachrichtenagentur des IS gilt. Darin heißt es lapidar: „Geheimdienstquelle zur Amaq Agentur: ‚Der Ausführer des Überfahranschlags in Berlin gestern ist ein Soldat des Islamischen Staates. Er führte die Operation nach Aufrufen zum Angriff auf Angehörige der Koalitionsstaaten aus.‘“

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Der Dschihadismusforscher Nico Prucha vom Institut für Orientalistik an der Universität Wien bewegt sich seit Jahren in der Online-Szene der Terrormiliz. Im Gespräch mit kurier.at erklärt er, was hinter dem Bekennerschreiben und der ominösen Amaq-Agentur steckt.

Herr Prucha, Sie verfolgen die Online-Aktivitäten des IS und seiner Aktivisten schon seit Längerem, wie beurteilen sie das Bekennerschreiben zu Berlin?

Nico Prucha: Die erste Frage in solchen Fällen ist, wo das Bekennerschreiben erschienen ist, also auf welchen Kanälen. Früher waren das klassische Online-Foren, dann Twitter und seit einem halben Jahr ist es ganz stark der Messagingdienst Telegram. Auf Telegram werden IS-Bekennerschreiben in Form von Jpeg-Bildern veröffentlicht, die einem ganz klaren Layout, betitelt mit „Amaq“, folgen. Alleine das Layout und die bestimmten Telegram-Kanäle, in denen ein Schreiben veröffentlicht wird, geben Auskunft über die Authentizität. Da ist es schnell klar, dass es vom IS kommt.

Auch das Wording ist bei Attentaten außerhalb des Nahen Ostens immer sehr ähnlich. Etwa, dass eine Quelle aus dem Sicherheitskreis gegenüber Amaq-Medien gesagt hätte, dass der Attentäter ein Soldat des "Islamischen Staates" sei. Der Satz ist immer gleich, ob es um Paris geht, Brüssel oder jetzt eben Berlin.

Außerdem wird in Bekennerschreiben meist angegeben, dass der Attentäter einem Aufruf gefolgt sei. Warum ausgerechnet diese Formulierungen?

Das bezieht sich auf den Aufruf von Abu Mohammad al-Adnani (mittlerweile getöter IS-Geheimdienstchef, Anm.) vor zwei Jahren, Ziele im Westen anzugreifen. Damit wird die Referenz eingebaut, dass der Soldat des Kalifats auf diesen Aufruf reagiert und das, wozu al-Adnani aufgerufen hat, auch umgesetzt wird. Damit wird eine gewisse Kohärenz vermittelt: Die Ideologen geben den Ton an und die Aktivisten und Soldaten führen die Befehle aus.

Es gibt aber auch die Trittbrettfahrer-Theorie, dass der IS sich zu Taten bekennt oder sie beansprucht, zu denen gar keine direkte Verbindung besteht. Der Wortlaut des Bekennerschreibens heißt ja eigentlich nichts, das könnte der IS über jedes Verbrechen mit islamistischen Hintergrund sagen.

Ich fürchte, die Trittbrettfahrer sind hier eine Randgruppe. Der IS bekennt sich meiner Erfahrung nach in den meisten Fällen, nicht immer, dann zu Anschlägen, wenn er es auch belegen, also zum Beispiel Videos des Attentäters veröffentlichen kann. Das war in Würzburg so und auch in der Normandie, als der Priester ermordet wurde. Zu Nizza hat sich der IS zwar bekannt, es folgte aber kein Video des Attentäters. Ich fürchte trotzdem, dass es hier irgendeine Form von Verbindung gegeben hat.

Der IS ist sehr vorsichtig, keine Anschläge für sich zu reklamieren, die später jemand anderem nachgewiesen werden können. Zu Anschlägen in der Türkei, die der PKK zugeschrieben werden, bekennt er sich beispielsweise nicht. Er ist da sehr bedächtig, seine Handlung als kohärente Form von Außenpolitik darzustellen. Der IS weiß auch, dass er von seinen Online-Anhängern eine auf die Nase kriegen könnte, wenn das herauskäme. Da sind sie leider sehr strategisch.

Amaq hat keine ständige Webseite, sind die Bekennerschreiben nicht leicht fälschbar?

Da sind wir beim Hauptpunkt zu dschihadistischen Medien: Die überwiegende Mehrheit der Medien ist auf Arabisch. Die Inhalte dieser Medien stützen sich – egal ob in Text- oder Videoform – immer auf theologische Komponenten, die ein Gesamtbild ergeben. Wenn Sie Fälschungen einflechten, dann fällt das relativ schnell auf, weil hier ein Bruch in der Kohärenz der Narrative entsteht. Man kann sich das wie einen Schwarm vorstellen, da wird dann auf Telegram gewarnt: Brüder und Schwestern passt auf, das hier ist eine Fälschung, keinesfalls herunterladen. Fälschungen hereinzutragen hat sich als ziemlich unmöglich erwiesen.

Für Sie ist das Bekennerschreiben also authentisch und ernstzunehmen?

Ja. Wegen des Inhalts und auch aufgrund dessen, wo es aufgetaucht ist. Das ist die pure IS-Onlinewelt. Telegram ist im Moment eben die Hauptplattform der Dschihadis.

Woher wissen wir eigentlich, dass hinter Amaq der IS steht?

Die Amaq hat sich als Gruppe lokaler Film-Aktivisten im Irak und Syrien etabliert. Sie haben als eingebettete Mudschaheddin mit den IS-Kämpfern immer wieder zwei-, dreiminütige Clips hergestellt. Ab 2013 hat sich Amaq als Mediengruppe immer weiter aufgebaut. Ihre Inhalte wurden lange Zeit gar nicht als offizielle IS-Inhalte geführt, aber eben mitpropagiert.

Mit der Zeit hat sich Amaq als offizielles Mediensprachrohr des IS etabliert. Sie publizieren pro Tag etwa ein Dutzend Bekennerschreiben im bekannten Format und ein halbes Dutzend bis zu einem Dutzend eigene Filme, die zeigen, was im Kalifat gerade so passiert. Amaq ist sozusagen der ORF des IS, die staatliche Medienquelle. Und als solche ist Amaq natürlich auch die Ressource bei Attentaten im Ausland.

Zur Person: Nico Prucha ist Lehrbeauftragter am Institut für Orientalistik an der Universität Wien. Prucha, der fließend Arabisch spricht, analysiert seit mehr als zwölf Jahren dschihadistische Propaganda. Er ist einer der Gründer des Vienna Observatory for Applied Research on Terrorism and Extremism (Vortex), das unter anderem österreichische Jugendarbeiter im Umgang mit Radikalisierung berät.