Waffenruhe im Konflikt um Berg-Karabach: Bis zuletzt Kämpfe
Armenien und Aserbaidschan haben sich knapp zwei Wochen nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe um die Kaukasusregion Bergkarabach auf eine Waffenruhe ab Samstagmittag geeinigt. Noch Samstag früh gab es allerdings von beiden Seiten Berichte über anhaltende Kämpfe.
Die Regierungen der beiden Konfliktparteien warfen einander vor, Samstag früh von Zivilisten besiedelte Gebiete beschossen zu haben. Die von Armenien unterstützte Führung in Bergkarabach erklärte, seit Freitag seien 28 Angehörige ihrer Sicherheitskräfte getötet worden.
Wie lange die Waffenruhe gelten soll, war zunächst unklar. "Die spezifischen Bedingungen der Waffenruhe müssen noch vereinbart werden", erklärte Russlands Außenminister Sergej Lawrow nach den Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus Armenien und Aserbaidschan. Beide Seiten hätten aber eingewilligt, substanzielle Friedensgespräche aufzunehmen.
Nach der Vereinbarung sollen auch Gefangene ausgetauscht und die Leichen von bei den Kämpfen getöteten Menschen übergeben werden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz werde bei der Umsetzung der Waffenruhe helfen, sagte Lawrow. Die Friedensgespräche würden unter der Schirmherrschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stattfinden.
Es war die schwerste Gewalteskalation seit Jahren in der Südkaukasusregion Berg-Karabach mit Hunderten Toten. Weitere Details der Waffenruhe sollten zusätzlich vereinbart werden. Grundlegende Friedensverhandlungen solle es unter Führung der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geben. Die Gruppe wird von Russland, den USA und Frankreich angeführt, die in dem Konflikt vermitteln.
Die Verhandlungen zur Feuerpause in Moskau zwischen den Außenministern Jeyhun Bayramov und Sohrab Mnazakanjan der verfeindeten Nachbarn dauerten mehr als zehn Stunden. Kremlchef Wladimir Putin hatte beide Länder zuvor eindringlich zu einer Waffenruhe aufgerufen.
Noch am Freitag Gefechte
Seit knapp zwei Wochen gibt es in Berg-Karabach neue Kämpfe mit Hunderten Toten. Auch am Freitag dauerten die Gefechte an. Auch die Hauptstadt Stepanakert wurde wieder mit Raketen beschossen, Aserbaidschan will neun Dörfer eingenommen haben. Insgesamt wurden seit Beginn der Gefechte rund 320 armenische Soldaten in Berg-Karabach getötet. Aserbaidschan hat bisher keine Angaben zu eigenen Verlusten gemacht, spricht aber von rund 30 toten Zivilisten. Es gibt tausende Flüchtlinge in der Unruheregion.
Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev nannte das Treffen in Moskau die "letzte Chance" auf eine friedliche Lösung. Der Konflikt solle jedoch zuerst militärisch beendet werden. Erst später könne man über eine dauerhafte politische Lösung sprechen. Armenien müsse Berg-Karabach aufgeben.
In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Berg-Karabach wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe.
Türkei deckt Aserbaidschan
Aserbaidschan bekommt in dem Konflikt Rückendeckung von der Türkei. Auch ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen sollen an den Gefechten beteiligt sein. Eindeutige Beweise gibt es bisher nicht.
Russland hat zu beiden Ex-Sowjetrepubliken diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen. Jene mit Armenien sind jedoch intensiver. Dort hat Russland auch eine Militärbasis.
Schallenberg: "Kollateralschaden von Covid-19"
Außenminister Schallenberg begrüßt die Einigung als "ersten wichtigen Schritt, vor allem für die Not leidende Zivilbevölkerung". Weitere vertrauensbildende Maßnahmen wie der Austausch von gefangenen und gefallenen Soldaten müssten folgen, forderte er gegenüber der APA. "Vor allem aber brauchen wir eine Abkehr von der Logik des Schlachtfelds hin zur Logik des Dialogs," appellierte der Außenminister. Um die Situation nachhaltig zu stabilisieren, fordert er die rasche Aufnahme der vereinbarten Gespräche.
Vor einem Treffen der Außenminister der EU-Länder am Montag in Luxemburg, bei dem um unter anderem über die jüngsten Entwicklungen im Konflikt um Berg-Karabach beraten wird, bezeichnete Schallenberg den Konflikt als einen "Kollateralschaden von Covid-19".
"Hätten sich die beiden Seiten in den letzten Monaten irgendwo am Rande einer internationalen Konferenz von Angesicht zu Angesicht unterhalten können, wäre es vermutlich nicht zu diesem Flächenbrand gekommen", unterstrich er die Bedeutung von direktem Kontakt zwischen Diplomaten. Im vergangenen Jahr war es zu zunehmend bedrohlicher Rhetorik gekommen und die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern hatten sich erhöht.
Österreich bietet sich an
"Die anhaltenden Entwicklungen rund um Berg-Karabach zeigen deutlich, dass wir vermeintlich kalte Konflikte nie außer Acht lassen dürfen", erinnerte Schallenberg am Freitag gegenüber der APA. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Donnerstag sein Angebot wiederholt, Gastgeber für eine weitere Gesprächsrunde zwischen den beiden Konfliktparteien zu sein.
Der Europäische Außenbeauftragte Josep Borrell befürchtet eine Destabilisierung der gesamten Region durch den Konflikt. Hoffnung setzte der EU-Chefdiplomat auf Bemühungen der Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Diese setze sich "so schnell wie möglich" für Verhandlungen ein.