Beirut: Zwischen Dschihad und Disco
Von Stefan Schocher
Beirut, das ist der Libanon in konzentrierter Dosis – mit all seinen Extremen. Straßencafés, Bars, Nachtclubs im Zentrum; Spannungen in den Vororten, die oft blutig enden. Am Mittwoch überfielen Bewaffnete laut Berichten in Beirut einen Bus mit Syrern und Palästinensern und stachen einige davon nieder. Und am selben Tag wurde ein iranisches Kamerateam von Unbekannten attackiert. Der syrische Bürgerkrieg strahlt aus. Der Iran unterstützt die im Libanon beheimatete schiitische Hisbollah und Syriens Präsidenten Assad. Und immer öfter gerät Beirut in den Sog dieser Krise.
Eskalation
Der Pulverrauch hat sich gelegt. Al-Assir ist verschwunden. Und nach drei Tagen der Gewalt bleibt das ungute Gefühl, dass es nicht viel braucht, um den Libanon wieder in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Denn nicht nur in Sidon war gekämpft worden: auch in der nördlich von Beirut gelegenen Hafenstadt Tripoli und auch in Vororten von Beirut.
Es waren die schwersten Auseinandersetzungen im Libanon im Windschatten der Krise in Syrien. Und es war das erste Mal, dass die so um Überparteilichkeit ringende und als solche bisher auch respektierte libanesische Armee in Kämpfe solchen Ausmaßes hineingezogen wurde. Ein Umstand, der Ängste schürt. Denn die Fronten sind im Vielvölkerstaat Libanon vorgezeichnet: Sunniten gegen Alawiten und Schiiten, Liberale gegen Konservative, Christen gegen Sunniten. Drusen und Armenier zwischen den Fronten. Der syrische Bürgerkrieg bieten den Zündstoff dazu.
Denn in dem mischt der bewaffnete Arm der schiitischen Hisbollah auf Seiten der syrischen Armee mit. Präsident Michel Suleiman, ein Christ, rief die Hisbollah zuletzt auf, ihre Kämpfer aus Syrien abzuziehen. Er sei immer bereit, sich schützend vor die Hisbollah zu stellen, weil diese gegen den Feind Israel kämpfe, aber er wolle sie auch vor sich selbst schützen.
Nach innen versucht der politische Arm der Hisbollah zu kalmieren. Die für dieses Jahr anberaumten Wahlen wurden aber wegen der Spannungen auf nächstes Jahr verschoben. In der Regierung stellen die Hisbollah und die mit ihr verbündete schiitische Amal-Bewegung fünf Minister, während die sunnitischen Vertreter im Kabinett nicht dem radikalen Lager nahestehen. Dort sind Geistliche die Wortführer, die gegen Schiiten und Alawiten predigen. Die Armee muss sich nun von radikaler Sunniten den Vorwurf anhören, durch ihr Vorgehen gegen Assir Partei ergriffen zu haben.
„Wollen keinen Krieg“
„Es war immer so“, so eine in Beirut ansässige Journalistin, die nicht beim Namen genannt werden möchte, zum KURIER, „wenn etwas passiert sagen alle: das ist der Beginn des Krieges; aber die Libanesen wollen keinen Krieg; sie wissen zu gut, was das bedeutet.“ Aber gerade in den vergangenen Wochen war es vermehrt zu Zwischenfällen gekommen. Vor allem in Tripoli, Sidon und der Bekaa-Ebene.
Die Ereignisse von Sidon, so die Journalistin, seien ernst. Aber noch ernster sei, dass der Konflikt immer öfter in Beirut ausgetragen werde – wo in verarmten Vororten schiitische und sunnitische Milizen um Einfluss ringen und Geistliche im Sinne Assirs zum Heiligen Krieg rufen, während im Zentrum die, die damit nichts zu Tun haben wollen, Partys feiern.