Bei der Scheidungssumme kommen EU und London einander näher
Seit zwei Tagen ist sie plötzlich nicht mehr zu hören – jene stets leicht grantige Mahnung des EU-Brexit Chef-Verhandlers Michel Barnier: "Die Uhr tickt." Entspannung hat der gestrenge Franzose bei seinen mühsamen Gesprächen mit der Regierung in London noch nicht ausgerufen. Doch erstmals kann er Atem holen: Großbritannien hat für seinen Austritt aus der EU eine Schlussrechnung vorgelegt, die der EU-Kommission offenbar akzeptabel erscheint.
Wie Verhandlerkreise dem KURIER bestätigen, geht es dabei nicht um eine konkrete Summe, sondern um die Verpflichtung, bis zum Jahr 2020 ins (laufende) EU-Budget einzuzahlen. Zudem sollen langfristige Verpflichtungen, wie etwa Pensionen von EU-Beamten anteilig mitbezahlt werden. Insgesamt dürften sich diese Verpflichtungen auf rund 100 Milliarden Euro belaufen, hat die Financial Times errechnet.
Nächste Phase
Eine offizielle Bestätigung vonseiten der EU-Kommission steht noch aus, und Michel Barnier gibt sich bärbeißig wie immer. Doch hinter den Kulissen ist zu hören: Die Kommission arbeite mit Hochdruck darauf hin, bei den Gesprächen endlich "substanziellen Fortschritt" (Geld, Nordirland, Bürgerrechte) melden zu können. Dann könnten die 27 EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember bei ihrem Gipfel Grünes Licht für die nächste Verhandlungsphase geben: Dann kann parallel zum Scheidungsverfahren auch über die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich verhandelt werden. Auf Klarheit drängt vor allem die Wirtschaft dies- und jenseits des Ärmelkanals: Investitionen haben oft eine lange Vorlaufzeit und benötigen Planungssicherheit.
Eine Einigung scheint auch im Streit um die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien näherzurücken. London wehrt sich, einmal aus der EU ausgetreten, massiv gegen die weitere Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes. Als mögliche Kompromisslösung könnten unabhängige Schiedsgerichte übernehmen – doch noch sind nicht alle EU-Staaten von dieser Lösung überzeugt.
Am sperrigsten bleibt indessen die Suche nach einer Lösung für Nordirland. Die irische Regierung will von London eine verpflichtende Erklärung, dass es nach dem Brexit nicht zu einer harten Grenze zwischen Nordirland und dem Süden der Insel kommt. Die Spannungen zwischen London und Dublin sind hoch, in Brüssel fürchtet man, dass der ersehnte Gesprächsfortschritt an diesem Stolperstein scheitern könnte. "Die Briten werden irgendetwas geben müssen", sagt ein Verhandler. "Das ist, als ob man sich ein Bein abhacken würde. Dann muss man halt mit Schmerzen leben."