Ein Schritt in Richtung Kurdenstaat?
Von Stefan Schocher
Es klingt ein wenig wie eine Trendwende. Hatten sich Vertreter der Autonomen Region Kurdistan im Irak in den vergangenen Jahren auffällig zurückgehalten mit der zuvor in steter Regelmäßigkeit erhobenen Forderung nach Eigenstaatlichkeit, so preschte der Präsident der Region, Massoud Barzani, jetzt umso lauter vor: Er fordert ein Referendum über einen kurdischen Staat im Nordirak. Auch, wenn eine solche Abstimmung rechtlich nicht bindend ist, so wäre sie doch ein starkes politisches Signal. Denn das Ergebnis liegt auf der Hand: Eine wohl weit mehr als 90-prozentige Zustimmung.
Faktisch sind die kurdischen Gebiete im Nordirak bereits eigenständig. Laut irakischer Verfassung wird ihnen weitgehende Autonomie zugestanden. Mit dem Aufstieg des IS aber und dem damit einhergehenden Zerfall des irakischen Staates ist aus der "Autonomie" faktische Unabhängigkeit geworden: Aus Bagdad fließen seit bald eineinhalb Jahren keine Budgetmittel mehr nach Kurdistan, es gibt eigene Sicherheitskräfte, die von westeuropäischen Saaten und den USA unterstützt werden und der Handel mit Öl wird selbst abgewickelt. Was aus Sicht Erbils aber fehlt, ist gerade in politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeiten (Flüchtlingskrise, Krieg, niedriger Öl-Preis) die formelle Grundlage, um mit internationalen politischen und finanziellen Institutionen auf Augenhöhe verhandeln und Verträge schließen zu können.
Barzani sprach entsprechend gezielt den Westen an, wenn er zur Legitimation des Referendums über die kurdische Eigenständigkeit Schottland, Katalonien und Quebec ins Rennen führte – pochen doch vor allem westeuropäische Politiker stets auf die Erhaltung der territorialen Integrität des Irak, während sie aber mit den nordirakischen Kurden und vor allem deren Militärs im Kampf gegen IS weitaus engere Beziehungen unterhalten, als etwa mit der irakischen Armee. Barzani sagte jetzt: "Wenn die Kurden darauf warten, dass andere ihnen Unabhängigkeit als Geschenk überreichen, werden sie die Unabhängigkeit nie erreichen."
Während die Frage der Unabhängigkeit unter den nordirakischen Kurden kaum zur Debatte steht, so tut es aber doch der Zeitpunkt. Die Region befindet sich im Krieg und dem 69-jährigen Barzani, dessen Amtszeit an sich im August 2015 abgelaufen war, wird von Kritikern vorgeworfen, sich mit dem Referendum unter Umständen überhastet ein Denkmal setzen zu wollen - während Entwicklungen in der Region derzeit ohnehin den Kurden entgegenkommen.