Ausgewandert, aber im Herzen noch da: Was Auslandsösterreicher am meisten vermissen
Arnold Schwarzenegger, die „steirische Eiche“, die Hollywood eroberte, Franz Strohsack, der sich jenseits des Atlantiks zu Frank Stronach mauserte, oder der einstige Rapid-Spieler Toni Fritsch, der in den USA zum König des „free kick“ wurde: Überall in der Welt finden sich spannende Geschichten von ausgewanderten Österreichern. Damals wie heute haben diese Menschen auch die Erinnerungen an ihre alte Heimat in die Fremde mitgenommen. Was fällt ihnen ein, wenn sie an das Land denken, das sie – zumindest für eine Zeit – hinter sich gelassen haben?
Was vermissen sie an ihr und worauf freuen sie sich, wenn sie eines Tages zurückkehren? Die KURIER-Auslandsredaktion hat sich da draußen umgehört und ein bisschen Sehnsucht nach Österreich eingesammelt.
Ilona Vass, Sydney, Australien: Die mürben Kipferl, aber vor allem die soziale Wärme
Als Entsandte im Auftrag der damaligen Austrain Airlines kam sie vor knapp 20 Jahren nach Australien – und ist geblieben. Seither lebt Ilona Vass, mittlerweile Konsulentin im Kommunikationssektor, in Sydney.
Was sie, am anderen Ende der Welt, an Österreich vermisst, ist weder das Schnitzel noch die Mozartkugel. „Das kann ich beides hier auch bekommen“,erzählt sie dem KURIER. Höchstens das klassische, mürbe Kipferl fehle ihr, sagt die gebürtige Wienerin. „Wenn mein Sohn und ich alle zwei Jahre in Österreich sind, gibt es jeden Tag in der Früh ein Kipferl.“
Und der Schnee natürlich, meint Ilona Vass, vor allem die Stille des Schnees gehe ihr ab. „Hier weiß das ja niemand, und deswegen erzähle ich es immer: Aber der frische Schnee hat seine eigene Stille.“
Schmerzhafter aber als Kipferl und Schnee vermisst die Mutter eines bald erwachsenen Sohnes die „soziale Wärme, die es in Österreich gibt. In Australien herrscht eine sehr stark ich-bezogene Kultur. Es gibt hier ein eher oberflächliches Charity-Denken, aber echte, tiefgreifende Hilfe ist selten. Und ich weiß, in Österreich ist das nicht so.“
Auch neue Leute kennenzulernen, tiefe Freundschaften zu schließen – das sei mit Australiern nicht einfach, schildert Ilona Vass. Bis heute seien die meisten ihrer guten Freunde ebenfalls Menschen, zu zugewandert seien.
Und sollte sie überlegen, nach Österreich zurückzukehren, würden ihr die alten Freunde dort sofort Hilfe anbieten. „In Australien“, sagt die Konsulentin und Buchautorin, „wäre das nicht der Fall.“
Sarah Huemer, Frankfurt am Main, Deutschland: Wo man statt Soda Zitron Limonade kriegt
Frankfurt hat Bankentürme, aber keine Berge. Die vermisst die Oberösterreicherin besonders: Daheim oder in Innsbruck, wo Sarah Huemer studiert hat, „hatte ich die Berge direkt vor der Haustür, zum Skitour gehen und Skifahren.“ Das hügelige Hessen kann da nicht mithalten.
Was die 25-jährige Journalistin sonst vermisst? „Im Lokal ein Soda Zitron zu bestellen“, erzählt Huemer.
Das hat sie sich mittlerweile abgewöhnt, nachdem sie danach stets eine Limonade serviert bekommen hat. Auch andere österreichische Ausdrucksweisen („Jänner“ statt „Januar“, „heuer“ oder „patschert“) enttarnen die Österreicherin in der deutschen Medienwelt. Nur an der Ausdrucksweise „es geht sich schon aus“ hält sie fest: „Meine Kollegen haben sich daran gewöhnt und verstehen mittlerweile, was ich meine“.
Wird die Sehnsucht nach einem Soda Zitron zu groß, geht es zum „Edelweiß“, einem österreichischen Lokal in Frankfurt-Sachsenhausen: Dort serviert ein Kellner in Lederhose aus dem Pongau Kaiserschmarren und Schnitzel.
Peter Ertl, Libanon: Meine Familie und die Freiheit, mich überall zu bewegen
Seit dem 7. Oktober kann für Oberstleutnant Peter Ertl und die 172 Soldatinnen und Soldaten des Österreichischen Bundesheeres im Libanon von Normalität keine Rede sein.
Sie sind Teil der UN-Mission UNIFIL, die seit Wochen zwischen den Fronten der Hisbollah und den Israelischen Verteidigungskräften (IDF) steht: „Das Leben im Einsatzraum ist einerseits bestimmt durch die Auftragserfüllung und andererseits aufgrund des anhaltenden Konfliktes geprägt von Gefechtslärm, Alarmierungen und Zeiten in denen wir Schutz in den UN-Bunkern suchen“, sagt der gebürtige Steirer, mittlerweile Niederösterreicher, zum KURIER. Er ist der Kontingentskommandant des Bundesheeres im Libanon.
Es ist das erste Mal, dass Ertl Weihnachten nicht mit seiner Familie verbracht hat – und das „nach einem Tag voller Gefechte“. Der Heiligabend sei allerdings friedlich und ohne Zwischenfälle verlaufen.
„Normalerweise kochen meine wunderbare Frau, meine tollen Kinder und ich gemeinsam regionale Spezialitäten, haben einen harmonischen Abend miteinander“, sagt Ertl.
Das regelmäßige Videotelefonieren und Schreiben von Nachrichten – einfach zu wissen, dass es seinen Liebsten Daheim gut geht, erleichtert Oberstleutnant Ertl die Arbeit im Einsatzraum sehr.
An Österreich vermisst er neben Familie und Freunden „die Freiheit mich immer und überall bewegen zu können, die Natur zu erleben und einfach Ruhe zu spüren. Hier im Camp ist man 24/7 in Alarmbereitschaft und als Kommandant ständig gefordert.“
Bärbel John, Winterthur, Schweiz: Semmelbrösel, Seidel, Wortwitz – und Wien
Die Schweiz, ein Nachbarland Österreichs, zentraleuropäisch, Deutsch sprechend – was soll man da schon vermissen?
„Es sind die kleinen, subtilen Dinge“, erzählt Bärbel John. Beim Einkaufen nicht nach Semmelbrösel (Paniermehl) fragen, nicht nach Topfen (Quark) oder Marmelade (Gonfi) suchen zu können. „Ich kauf keine Fahrkarte für die Bim, sondern ein Billett für das Tram. Im Restaurant bestell ich kein Krügerl oder Seidel, sondern ein Grosses oder eine Stange.“
Auch wenn sich John, die vor 23 Jahren der Liebe wegen in die Schweiz gezogen ist, das Schwizerdütsch längst angeeignet hat – die Wehmut nach dem Österreichischen bleibt: „Die Klangfarbe, die Wortwahl, der Humor, der Wortwitz“. Über all die Jahre ist Wien ihre Herzensstadt geblieben: „Heute ist es zwar nicht mehr das Wien, das ich verlassen habe, aber es ist immer noch das, das ich kenne. Weil es sich vertraut anhört, vertraut riecht, vertraut aussieht – weil man dort die ersten Wurzeln geschlagen hat.“
René Clausen, Brüssel, Belgien: Die Berge, der Schnee, die Seen und was es fürs Gulasch braucht
Wenn ein gebürtiger Salzburger und passionierter Skifahrer ins flache Belgien zieht, wo die höchste Erhebung des Landes kaum 700 Meter Seehöhe erreicht, vermisst er eines besonders: die Berge.
Und den Schnee natürlich auch, denn die weißen Flocken lassen sich in Belgien nicht jeden Winter blicken. Aber wenn doch, dann bleibt eine hauchdünne Schneedecke kaum je länger als ein paar Tage liegen.
„Und im Sommer vermisse ich die Seen“, sagt Clausen, „denn wo kann ich hier an heißen Tagen hin? Freibäder gibt es in Brüssel nicht. Ja, ich könnte an die belgische Küste fahren“, meint Clausen zum KURIER. Aber diese Idee haben dann die meisten anderen Belgier auch – und die Züge an die Küste sind überfüllt – „oder ich steh mit Tausenden anderen im Stau.“
Im Alltag vermisst der begeisterte Hobbykoch so manche Ingredienzien, die für typisch heimische Gerichte wie etwa Gulasch unerlässlich sind: das süße Paprikapulver. „Einen g’scheiten Speck“, meint er lachend, und ja, nicht zu vergessen Grieß. Der ist in Belgien ebenso unbekannt wie Kernöl.
Aber ansonsten, sagt Clausen „gibt es an kulinarischen Genüssen in Belgien nichts zu meckern!“ Und dann fällt dem quirligen Weinhändler doch noch etwas ein: „Schade ist, dass es bei den Weihnachtsmärkten hier in Belgien keinen Lebkuchen gibt. Und keinen Punsch. Was hier als Glühwein serviert wird, das schmeckt eher nach Zuckerwasser.“
Tina Luttenberger, Riga, Lettland: Fahrradwege, veganes Essen und mehr Sonnenlicht
Manchmal sind spontane Entscheidungen die besten – diese Erfahrung hat auch Tina Luttenberger aus Graz gemacht. Zwei Tage vor der Anmeldefrist hat sie sich dazu entschlossen, zum Studieren nach Lettland zu ziehen – ein paar Wochen später ging es bereits los. Bereut hat sie das bisher nicht, sagt die 22-Jährige heute, circa drei Jahre später. Mittlerweile ist sie im fünften Semester ihres Medizinstudiums.
Doch obwohl sie sich in der Hauptstadt Riga pudelwohl fühlt, vermisst sie so einiges an Österreich – Fahrradwege in der Stadt, zum Beispiel. Aber auch das Sonnenlicht: „In Österreich ist es im Winter länger hell als hier“, sagt sie. Dafür sei es im Sommer umgekehrt: „Wenn du da in Lettland am Meer übernachtest, siehst du noch sehr lange einen orangen Streifen am Horizont.“
Mit dem traditionell lettischen Essen hat Luttenberger sich noch nicht angefreundet: „Man isst hier viel Fisch, Fleisch und fettig“. Aber als Veganerin, die sich zudem glutenfrei ernährt, habe sie sich auch in der österreichischen Küche oft schwergetan – in den Supermärkten in Österreich gebe es aber definitiv eine größere Auswahl an Alternativprodukten. Und: „Das Leitungswasser schmeckt in Österreich besser“, findet sie.
Ob sie sich vorstellen kann, nach dem Studium in Lettland zu bleiben?
Sie ist sich nicht sicher: „Ich finde es hier sehr schön. Aber ich lebe auch nicht von einem lettischen Einkommen.“ Die hohe Altersarmut schrecke sie ab. Zurück nach Österreich will sie aber auch nicht unbedingt: „Ich bin kein Fan, davon, wie dort derzeit mit den Ärzten umgegangen wird.“
Helga Macher, Füssen, Deutschland: Die Lockerheit, den Kaffee und pünktliche Züge
Zum hundertprozentigen Bayern wird man als „Zuagroaste“ nie – selbst wenn man wie Helga Macher seit mehr als 40 Jahren im Freistaat lebt.
Allein der bayerische Humor – oft ganz schön derb – den muss man mögen, was die Pensionistin durchaus tut. Aber der bietet nicht, was die gebürtige Steirerin vermisst: „Die Lockerheit der Österreicher, im Vergleich zu den Deutschen generell – das viel offenere, freundlichere und umgänglichere Wesen.“
Zur Lockerheit gehört unwiederbringlich die Kaffehauskultur „und natürlich der Kaffee. Der Kaffee ist in Österreich viel besser.“ Und ja, die Beisln, wo man einfach stundenlang gemütlich abhängen kann, die vermisst die frühere Arzthelferin auch.
Wenn Helga Macher nicht mit dem Auto, sondern mit der Deutschen Bahn zur Verwandtschaft in Österreich fährt, fällt ihr gleich noch etwas ein, was sie in Deutschland vermisst: „Die Pünktlichkeit der österreichischen Züge. Und die Sicherheit, dass man sich darauf verlassen kann, dass ein Zug überhaupt ankommt.“
Daniela Jauk-Ajamie: Ohio, USA. Kekse mit Geschmack und eine Kirche mit Weltoffenheit
Nein, religiöse Innigkeit oder Besinnlichkeit, die geht Daniela Jauk in den Hügeln von Ohio auch rund um Weihnachten nicht ab. Denn davon gibt es – wie fast überall in den USA – mehr als genug. Die Soziologin, die an der örtlichen Universität forscht, lebt hier mit einer katholischen Kirche, die konservativer und „viel weiter rechts“ ist als jene in der heimatlichen Steiermark.
In vielen Kirchen seien gleichgeschlechtliche Paare tabu, das Recht auf Abtreibung heftig umstritten und die Regenbogenfahne ein Feindbild. „Da wünsche ich mir oft den liberalen Geist, den viele in der Kirche in Österreich haben.“
Auch Weihnachtskekse gibt es in Ohio mehr als genug, aber die seien „handtellergroß und geschmacklos“. Von der Vielzahl an kleinen hausgemachten Bäckereien, wie sie in der alten Heimat Tradition sind, kann man hier nur träumen. Das passt zu einer Weihnachtszeit mit künstlichen Düften überall und Dauerbeschallung. „Da vermisse ich dann den Geruch Tannenreisig und Kerzen, die wirklich aus Bienenwachs sind.“
Marion Baku, Haatlem, Niederlande: Das Kaffeehaus, das gute Brot – nur der Grant nicht
Seit fünf Monaten sind die Salzburgerin Marion Baku und ihr Freund zu dritt. Seither ist zu dem, was sie seit ihrem Wegzug 2019 an Österreich vermisst, noch etwas hinzugekommen: Neben dem „guten dunklen Brot“ und der „gemütliche Kaffeehauskultur“ – „in den Niederlanden sitzt niemand lange und frühstückt“ – fehlt der Projektmanagerin vor allem das österreichische Gesundheits- und Sozialsystem.
„Einfach zum Facharzt gehen, das kann man hier nicht“, sagt sie, viele Leistungen müsse man selbst zahlen.
Auch die Karenz in Österreich sei eine andere. In den Niederlanden bekommen Frauen einen Monat Mutterschutz, weitere drei als Karenz zugestanden, danach gehen die meisten Frauen wieder arbeiten. Auch Baku ist wieder zwei Tage zurück im Job, doch die Betreuung ist im vergleich zu Österreich teuer: Knapp 1000 Euro kostet ein Platz für zwei Tage.
Was sie nicht vermisst? „Den Grant“, sagt sie. „Wobei, das ist zweischneidig. Der Grant hat ja auch seinen Charme.“
Christine Leopold, Boston, USA, und Utrecht, Niederlande: Die Heurigen, die Käsekrainer und das Radfahren
Fünf Jahre hat die Wissenschaftlerin in Boston gelebt, an der renommierten Uni Harvard geforscht. Dort hat ist sie zwar über einen Verein österreichischer Wissenschafter der Heimat nahe geblieben und hat dabei auch immer wieder klassisch-österreichische Schinkenfleckerl gekocht, aber so wie zu Hause sind die dort nie geworden. „Mir hat ,Comfort Food’, also das Essen für die Seele gefehlt“, sagt sie – Essen, das auch für Heimat, für Sich-Wohlfühlen stehe. Was das noch ist? „Käsekrainer. Drageekeksi. Und der Heurige, wo man für ein Glas Wein nicht gleich zehn Dollar zahlt.“
Daneben war es das Radfahren, das ihr stark abging. „In den USA war jede Fahrt mit dem Fahrrad gefährlich, das vermiest einem die Freude am Fahren.“ Das wird der Wienerin demnächst nicht mehr fehlen, denn sie zieht samt Familie nach Utrecht. In den flachen Niederlanden wird es dann vielleicht was anderes sein, was fehlt, sagt sie: „Ich werde wohl die Berge vermissen. Und den Schnee.“