Ausblick auf eine düstere Zukunft von Hongkong
Die vorübergehende Besetzung des Hongkonger Parlaments durch ein paar Hundert Regierungskritiker am Montag „ist ein dramatisches Ereignis mit noch unabsehbaren Folgen für die Zukunft“, sagt Mareike Ohlberg vom Mercator Institute for China Studies in Berlin. Am Tag nach der Eskalation der Lage schließt die Expertin nichts aus – auch nicht, dass Peking die „Bewaffnete Volkspolizei“ (ihr obliegt die „Aufstandsbekämpfung“) in die frühere britische Kronkolonie schickt. Sehr wahrscheinlich sei es im Moment nicht, aber nicht undenkbar.
Nicht nur aus der Sicht Ohlbergs ist nicht auszuschließen, dass die Demonstranten, die das Parlamentsgebäude verwüsteten, in eine Falle tappten. Hongkongs Polizeichef konnte keine überzeugende Antwort geben, warum kein einziger Polizist im Gebäude war. „Die Demonstranten haben mit der gewaltsamen Erstürmung des Parlaments der Regierung in Hongkong und in Peking ein Geschenk gemacht“, sagt Ohlberg gegenüber dem KURIER. Nun habe die Regierung die gewünschte Bestätigung für ihre Behauptung, die Protestbewegung sei „radikal und illegitim“. Dabei hatten zeitgleich Zehntausende Hongkonger wie in den Wochen zuvor friedlich für Lams Rücktritt demonstriert.
„Null-Toleranz-Politik“
Prompt sprach die Regierung in Peking von „Extremisten“, die das Parlament „auf äußerst gewalttätige Weise angegriffen“ hätten. Diese Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit könne nicht toleriert werden, die soziale Ordnung müsse so schnell wie möglich wieder hergestellt werden. Chinas Staatsmedien forderten für derart „zerstörerisches Verhalten“ eine „Null-Toleranz-Politik“. Mit entsprechender Härte müssen alle Beteiligten rechnen, die erwischt wurden. Wie viele das sind, ist nicht bekannt.
Großbritannien warnt Peking
In London schrillten jedenfalls sämtliche Alarmglocken. Peking dürfe die Proteste nicht als „Vorwand für Unterdrückung“ ausnutzen, warnte die britische Regierung. „Es wird ernsthafte Konsequenzen haben, wenn international bindende Abmachungen nicht eingehalten werden“, drohte Außenminister Jeremy Hunt vor Verletzungen des Sonderstatus von Hongkong. Peking verbat sich umgehend jede Einmischung von außen.
Angst vor Chinas Justiz
Die einstige britische Kronkolonie gehört seit 1. Juli 1997 formal zu China, hat aber eine bis zum Jahr 2047 vertraglich garantierte Reihe von Sonderrechten und Freiheiten. Dazu zählen eine unabhängige Justiz und eine eigene Regionalverwaltung. Beides ist aus Sicht von zumindest zwei Millionen Hongkongern in Gefahr, die gegen Lams geplantes Auslieferungsgesetz auf die Straße gegangen sind. Das Gesetz, das aufgrund der Proteste nur auf Eis gelegt, aber nicht zurückgezogen wurde, erlaubt die Auslieferung von Hongkongern an die chinesische Justiz. Der werfen Anwälte und Menschenrechtsaktivisten vor, mit Folter Geständnisse zu erzwingen und parteiische Urteile zu sprechen.
Lam selbst ist aus der Sicht Pekings wohl „politisch tot“. Jedenfalls würde das für jeden Lokalpolitiker auf dem Festland gelten, gegen den zwei Millionen Chinesen demonstrierten würden, sagt Ohlberg. Sollte Peking die Regierungschefin absägen, werde ihr Nachfolger wohl noch härter gegen Kritiker vorgehen.
„Das Netz wird enger“
Die straffe Führung von Staatspräsident Xi Jinping, der auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen mittlerweile das Kommando hat, bekommen alle zu spüren – auch die Hongkonger. Es waren viele kleine Schritte. Nach der Niederschlagung der Regenschirm-Revolte und der Verhaftung der Führer 2014 „verschwanden“ 2015 fünf Buchhändler aus Hongkong. Nur einem gelang nach seiner Entführung aufs Festland die Flucht. Vergleichsweise harmlos traf es 2016 neue Parteien, die gleich wieder verboten wurden. Kritischen Volksvertretern wurde das Mandat entzogen.
„Das Netz wird immer enger, auch durch die neuen technologischen Überwachungsmöglichkeiten“, sagt Ohlberg. Viel Hoffnung, dass Hongkong Chancen auf autonome Rechte hat, hat die China-Expertin nicht.