Attentat in Kirche: "Sie filmten sich, während sie den Pfarrer erstachen"
Von Danny Leder
"Schwester Danielle" floh am Dienstag-Vormittag aus der Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray, als einer der beiden Dschihadisten, die knapp zuvor in das Gotteshaus eingedrungen waren, den 84 jährigen Pfarrer Jacques Hamel erstach. Die Ordensschwester berichtete Reportern des TV-Senders BFM: "Alle Leuten riefen, hört auf! ("Arretez!"). Aber es war vergebens. Sie haben den Pfarrer gezwungen niederzuknien, er hat versucht sich zu wehren, und da… (ihre Worte stocken). Sie haben mich nicht hinauslaufen gesehen. Sie haben das alles selber gefilmt und von der Kanzel eine arabische Predigt gehalten".
Reaktionen: Premier Valls spricht von "Krieg der Religionen"
"In so einem Nest hätte ich sowas nie für möglich gehalten", sagt ein noch immer verdatterter Anrainer. In der eher geruhsamen Kleinstadt Saint-Etienne-du-Rouvray (27.000 Einwohner), südlich der Normandie-Metropole Rouen, hatte niemand mit einem Anschlag im Namen des fernen Terrorgebildes "Islamischer Staat" (IS) gerechnet – und schon gar nicht mit einem Messer-Angriff auf die Morgenandacht von vier Kirchgängern und einem Priester.
Und doch wurde genau dieses einfache und typisch normannische Gotteshaus mit seinem stämmigen Kirchturm, am Dienstag, knapp vor zehn Uhr, von zwei Männern gestürmt, die den 84 jährigen Pfarrer erstachen und einen weiteren Gläubigen schwer verletzten. Eine knappe viertel Stunde später hatte bereits ein Sonderkommando der BRI ("Brigades de Recherche et d’Intervention") die Kirche erreicht. Die beiden Attentäter, die mit dem Ruf „Allahu Akbar“ zu den Polizisten herausgestürmt waren, starben im Kugelhagel der Beamten.
Im März aus der Haft entlassen
Einer der Täter, der 19-jährige Adel K., war ein ortsansässiger und den Behörden bekannter Dschihad-Anhänger. Er hatte 2015 gleich zwei Mal hintereinander versucht nach Syrien zu gelangen, war aber ein erstes Mal in Deutschland und ein zweites Mal in der Türkei festgenommen und jeweils nach Frankreich zurückgeschickt worden. In Frankreich wurde wegen dieser Verwicklung in dschihadistische Aktivitäten schließlich gegen ihn eine Vorbeuge-Haft verhängt. Im März durfte er aber das Gefängnis mit der Auflage verlassen, ein elektronisches Armband zu tragen und nur am Vormittag, zwischen 8 und 12 Uhr 30, seine Wohnung zu verlassen – in dieser Zeitspanne verübte der 19 Jährige dann den Anschlag. Dabei hatte die mit Terror-Affären betraute Staatsanwaltschaft vergeblich gegen diese provisorische Freilassung Einspruch erhoben – diese Entscheidung der Richter gegen den Widerstand der Staatsanwaltschaft wird jetzt von einem Teil der Öffentlichkeit heftig kritisiert.
In der Logik des "Islamischen Staats", der sich zu dem Anschlag in der Kirche bekannt, ist damit der Beweis erbracht, dass die "Ungläubigen im Kreuzfahrer-Staat Frankreich" (wie es in seinem Jargon heißt) nirgendwo in Sicherheit wären – nach Paris und Nizza könnte der IS noch im hintersten Eck zuschlagen. Die französischen Behörden haben freilich demonstriert, dass sie sich auf diesen "Krieg mit allen Mitteln" (den Präsident Francois Hollande in einer Ansprache vor Ort zwei Stunden nach dem Anschlag diagnostizierte), zunehmend wirksam einstellen. Dass das BRI-Kommando auch in diesem "Nest" so schnell zur Stelle war und die Täter unschädlich machte, entspricht der kürzlich formulierten Zielvorgabe von Innenminister Bernard Cazeneuve: demnach sollen Einsatzkräfte von Polizei oder Gendarmerie nicht länger als zwanzig Minuten zu jedem denkmöglichen Anschlagsort brauchen.
Christen und Juden bedroht
Isabelle de Gaulmyn, Chefredakteurin der katholischen Tageszeitung "La Croix", meinte: "Wir wussten ja spätestens seit dem misslungenen Anschlag auf eine Kirche im Vorjahr (südlich von Paris), dass wir als Christen so wie die Juden bedroht sind“. Nun ginge es darum "nicht in die Falle, die uns die Terroristen stellen, zu tappen, nämlich sich zu religiös motivierten Zusammenstößen verleiten zu lassen". Allerdings würden sich immer mehr Katholiken angesichts „einer gewissen Aggressivität von Muslimen in einigen Vierteln Fragen stellen". Die Muslime müssten "an ihrem Verhältnis zur pluralistischen Gesellschaft arbeiten", fordert Gaulmyn.
Saint Etienne du Rouvray ist eine vorwiegend von Arbeiterfamilien und namentlich Eisenbahnern bewohnten Gemeinde mit langer linker Tradition. Übereinstimmend versicherten Bewohner, bisher sei das Zusammenleben von Familien unterschiedlichster Herkunft und Konfession stets völlig problemlos verlaufen. Ein Algerier, der vor islamistischen Terroristen in seinem Heimatland geflohen war, sagte unter Schluchzen: „Jetzt sind mir diese Irrsinnigen auch noch in diese Zufluchtsstätte gefolgt“.
Präsident Hollande könnte die Militäraktionen gegen die IS-Bastionen im Irak und Syrien noch weiter verstärken, einen Bodeneinsatz französischer Truppen schloss er aber bisher aus.
Die konservative und rechtsrechte Opposition wirft der SP-Staatsführung „Unfähigkeit im Kampf gegen den Terror“ vor. Einige bürgerliche Politiker fordern, man solle einen Teil jener Personen, die als Dschihad-Sympathisanten bei den Behörden vorgemerkt sind (rund 13.000), nicht bloß beobachten sondern internieren. Das würde aber bedeuten, dass man Menschen ohne Gerichtsurteil und ohne vorher gehender Straftat festsetzt.
Im Nahen Osten sind sie schon längst traurige Realität: Angriffe radikaler Islamisten auf christliche Gotteshäuser – besonders oft im Irak, in Syrien, bis vor Kurzem auch in Ägypten, aber auch in Pakistan und Nigeria.
Papst Franziskus verurteilte die "sinnlose Gewalt". Vatikansprecher Federico Lombardi sagte: "Wir sind besonders betroffen, weil diese entsetzliche Gewalt mit der barbarischen Ermordung eines Priesters und mit der Beteiligung von Gläubigen in einer Kirche stattgefunden hat, einem heiligen Ort, wo die Liebe Gottes verkündet wird."
Größere Sicherheitsmaßnahmen vor Kirchen hat es in Frankreich bisher nur selten gegeben. Das könnte sich nun ändern – nach dem Beispiel der Synagogen. Alle jüdischen Gotteshäuser Frankreichs erhielten bereits nach dem Attentat auf die Charlie Hebdo-Redaktion im Jänner 2015 noch stärkeren Schutz.