Beleidigt und bespuckt: 10 Stunden als Jude in Paris
Von Evelyn Peternel
Das Video selbst dauert nur knappe 90 Sekunden, der irritierende Effekt hält aber deutlich länger an: Ein junger Mann setzt sich eine Kippa auf und unternimmt Spaziergänge durch Paris. Er wandert durch das Paris nach den Attentaten von Charlie Hebdo, durch jene Stadt, die seit geraumer Zeit mit einem schwelenden Antisemitismus und mit wachsendem Fremdenhass zu tun hat - genau dies dokumentiert der Mann mit der Kippa mit dem Video: Er wird angespuckt, als „Homo“ diffamiert, offen beschimpft.
Zehn Stunden lang ist Zvika Klein, ein Reporter der israelischen Nachrichtenportals nrg.co.il, für das Video durch Paris gegangen; vor ihm ein Kollege, der Klein mit einer versteckten Kamera filmt. In einem zum Video gehörenden Artikel schildert Klein, was ihm auf den Straßen der französischen Hauptstadt widerfahren ist: So sei er etwa von einem Mann verfolgt worden, das Wort Jude sei ihm wie als Schimpfwort oft abfällig hinterhergezischt worden, hinterher. Mehrere Menschen hätten auf den Boden gespuckt, als er an ihnen vorbeigegangen sei. Und ein kleiner Junge in einer muslimisch geprägten Gegend soll bei seinem Anblick seine Mutter gefragt haben: "Was macht der denn hier, Mama? Weiß der denn nicht, dass er hier umgebracht wird?"
Zunehmender Hass
Im Video ist diese Szene nicht zu sehen, so wie einige andere, die Zvika beschreibt – die Szenen sind verkürzt und zusammengeschnitten. Das Konzept, auf das der Journalist hier zurückgreift, ist jenes der US-Amerikanerin Shoshana Roberts – sie hatte dokumentiert, wie oft sie innerhalb eines Tages von Männern auf den Straßen New Yorks verbal belästigt worden war. Dieses Video entfachte in den Staaten eine breit geführte Debatte über Alltagssexismus. Zvikas Arbeit hat nun einen ähnlichen Effekt in Hinblick auf Antisemitismus in Frankreich.
Dass Rassismus und Antisemitismus ein zunehmendes Problem darstellen, hat man im Elysée schon länger erkannt - seit den Anschlägen von Paris, deren Ziel ja auch ein jüdischer Supermarkt war, ist diese Tatsache auch allen französischen Bürgern grausam ins Bewusstsein gerückt worden. Geschürt wird der Hass aber nicht nur vom rechtsnationalen Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen, sondern auch von jungen Muslimen – diesen Umstand dokumentieren die Aufnahmen nun gekonnt. „851 antisemitische Attacken wurden 2014 in Frankreich registriert - Frankreich ist damit das antisemitischste Land Westeuropas“, sieht am Ende des Videos.
Propaganda-Vorwurf
Wie spitzfindig dies gemacht ist, ist wiederum ein anderer Gegenstand der Debatte - denn es lässt sich nur schwer sagen, wie repräsentativ die Ausschnitte Kleins sind. Kritiker meinen gar, durch das Editieren des Videos entstünde ein bewusst suggerierter und somit falscher Eindruck. Dazu passt auch, dass das Portal, auf dem er den Artikel samt Video veröffentlicht hat, dem US-Milliardär Sheldon Adelson gehört – er gilt als eifriger Unterstützer und persönlicher Freund des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu. Und dass der alle französischen Juden offen dazu aufruft, nach Israel zu emigrieren, ist kein Geheimnis.
Klein widerspricht dieser Darstellung: „Wenn ich mit einer Israel-Flagge durch Paris gelaufen wäre, wäre es ja verständlich, dass dies negative Gefühle hervorruft. Aber ich denke nicht, dass das Tragen einer Kippa so etwas bewirken sollte“, sagte er im Interview mit der BBC.
Allerdings räumt Klein ein, dass Juden nicht in allen Teilen von Paris mit solcherart Beschimpfungen leben müssten. Vor allem in den Touristengegenden wie etwa am Champs Elysées oder rund um den Eiffelturm sei es zu keinen nennenswerten Vorfällen gekommen. Je weiter er aber nach draußen in Richtung Banlieues gekommen sei, desto unangenehmer wurden die Angriffe. Körperlich sei er aber nie attackiert worden, so der Journalist.
Auswanderungs-Welle
Nichtdestotrotz – das Video sorgt für Debatten in Frankreich. Mehr als eine Million Mal ist es bisher auf Youtube angeklickt worden. Die Regierung ließ Tel Aviv ausrichten, dass das israelische Werben um die französischen Juden fehl am Platze sei: „Ihr Platz ist in Frankreich", so Premierminister Manuel Valls.
Das sehen allerdings die Betroffenen selbst offenbar nicht so: Noch nie wanderten so viele Franzosen nach Israel aus wie im vergangenen Jahr - 7000 waren es 2014, damit hat sich ihre Zahl im Vergleich zum Jahr davor mehr als verdoppelt.
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