Politik/Ausland

Die Kommissare auf dem Prüfstand

Vor zehn Tagen verkaufte der Spanier Miguel Arias Cañete für 437.220 Euro seinen Anteil an den Ölfirmen Petrolifera Ducar und Petrologis Canarias. Das geht aus seiner Erklärung an das EU-Parlament hervor. Ob das genügt, den Ruf als "Öl-Lobbyist" loszuwerden und die Widerstände vieler Abgeordneter gegen Cañete als neuen Kommissar für Energie und Klima zu zerstreuen, wird das Hearing zeigen. Im Raum steht ja auch noch der Vorwurf, der konservative Minister aus Madrid habe sich abfällig über Frauen geäußert.

Die Worte seines Chefs Jean-Claude Juncker dazu sind eindeutig: "Herr Cañete muss bei seiner Anhörung unmissverständlich klarmachen, dass er nicht das ist, für das manche ihn halten" – nämlich ein Macho.

Montag beginnen die Anhörungen vor den jeweiligen Ausschüssen im Europäischen Parlament. Am Dienstag ist Johannes Hahn an der Reihe. Als erfolgreicher Kommissar für Regionalpolitik ist er nicht gefährdet. Das dreistündige beinharte Frage- und Antwortspiel wird er bestehen.

So komfortabel wie für Hahn ist die Ausgangslage aber nicht für alle: Zumindest vier gelten als Wackelkandidaten. Die Slowenin Alenka Bratušek, der Ungar Tibor Navracsics, der Brite Jonathan Hill sowie der Maltese Karmenu Vella werden es schwer haben, eine Ablehnung ist nicht ausgeschlossen. Die großen Fraktionen, die Europäische Volkspartei und Sozialdemokraten, wetzen die Messer. Einen "Nichtangriffspakt" zwischen beiden gibt es nicht.

Unter verbalem Beschuss steht Bratušek. Die Ex-Ministerpräsidentin hat sich selbst nominiert, sie genießt auch nicht das Vertrauen der neuen Regierung in Ljubljana. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale schießen sich gegen Navracsics, dem engen Vertrauten von Viktor Orbán, ein. Die Vorwürfe wiegen schwer: "Er hat Pressefreiheit und Bürgerrechte in Ungarn beschnitten, sein Demokratie-Verständnis ist dubios", sagt SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried.

Sir Jonathan Hill ist auch vielen suspekt, er scheint als Finanzkommissar ungeeignet zu sein, weil Großbritannien wenig von der EU-Bankenregulierung und der Bankenunion hält.

Öko-Abgeordnete haben den maltesischen Sozialdemokraten Vella im Visier. Es sei "unmöglich", dass er für Umwelt zuständig sein sollte, wenn sein Land den in der EU verbotenen Abschuss von Singvögeln erlaubt.

Sollte einer der Kandidaten straucheln, gibt es Druck auf Juncker, die Person auszutauschen oder mit einem anderen Dossier zu betrauen.

Bedenken des Parlaments haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass Kommissare ersetzt wurden. 2004 scheiterte der Italiener Rocco Buttiglione wegen homophober Äußerungen. 2010 musste die bulgarische Kandidatin Rumjana Schelewa wegen unvollständiger Nebeneinkünfte aufgeben.

Vor den Hearings ruft der starke Mann der CDU im Parlament, Elmar Brok, die großen Fraktionen auf, "die Sache gemeinsam durchziehen", so ganz nach Art einer großen Koalition. Er gibt aber auch zu, dass bei den Anhörungen immer noch ein Malheur passieren kann. "Wie ein Schüler kann auch ein Kommissar einen schlechten Tag haben."

Einen Schritt vor, dann wieder zurück. Die neue EU-Kommission von Jean-Claude Juncker geht auf Gegner des Freihandelsabkommens Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zu. Vor der Parlamentsanhörung der neuen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström blieb allerdings unklar, wie weit die Zugeständnisse gehen.

TTIP-Verhandlungen

Die Schwedin wird an diesem Montag den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Am selben Tag gehen die TTIP-Verhandlungen in den USA in die siebte Runde.
Malmström schwächte vor der Anhörung Aussagen zu TTIP ab und korrigierte dazu dem Vernehmen nach schriftliche Antworten, die sie an die Parlamentarier geschickt hatte.

Wie tagesschau.de berichtet, sei Malmström ein "Fehler" unterlaufen. Zunächst habe sie sich für ein TTIP ohne die umstrittene Investor-Staat-Streitschlichtung (ISDS) ausgesprochen: "Keine Begrenzung der Zuständigkeit von Gerichten in den EU-Mitgliedsstaaten wird in diesem Zusammenhang akzeptiert werden; das bedeutet eindeutig, dass keine Investor-Staat-Streitbeteiligung Teil dieser Vereinbarung wird." Ein unmissverständlicher Satz, der einen klaren Kurswechsel bei den umstrittenen Schiedsgerichten bedeutet hätte. In einer überarbeiteten Version bleibt dieser Teil vollkommen unerwähnt, so tagesschau.de.

Der Vorsitzende des Handelsausschusses in der Volksvertretung, Bernd Lange, zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass die Juncker-Kommission bei TTIP einen neuen Kurs einschlagen werde. „Auch ohne die explizite Absage an die Schiedsgerichte ist das Papier ein deutlicher Unterschied zu der Linie der bisherigen Kommission“, ließ Lange am Sonntagabend mitteilen. TTIP-Gegner warnen seit längerem, Konzerne könnten auf der Basis von ISDS-Klauseln die EU oder einzelne Staaten vor internationale Schiedsgerichte bringen. In Deutschland lehnt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Investitionsschutzregeln ab - auch beim Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada, das bereits fertig ausgehandelt ist.

Kehrtwende der EU

Juncker hatte schon im Juli eine Kehrtwende in Aussicht gestellt. Er sagte, er werde es nicht hinnehmen, „dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird“.

Der künftige Kommissionschef fügte damals hinzu: „Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz müssen auch in diesem Kontext gelten.“ Juncker ist nach eigenen Worten auch nicht bereit, europäische Standards im Bereich Sicherheit, Gesundheit, Soziales oder Datenschutz „auf dem Altar des Freihandels zu opfern“.
Das geplante TTIP-Abkommen mit dem Wirtschaftsriesen USA ist für viele Kritiker ein rotes Tuch. Sie befürchten die Absenkung von Verbraucher- und Umweltschutzstandards in Europa. Die bisherige Kommission von José Manuel Barroso hatte diese Vorwürfe stets zurückgewiesen. Der Investorenschutz war allerdings von der EU nach öffentlichem Druck bei den Verhandlungen bereits auf Eis gelegt worden.

Größte Freihandelszone der Welt

Mit dem Abkommen soll die größte Freihandelzone der Welt mit rund 800 Millionen Menschen entstehen. Auch der deutsche Kommissar Günther Oettinger wird am Montag angehört werden. Der CDU-Politiker soll künftig für die Digitalwirtschaft verantwortlich sein. Das Parlament muss der neuen Juncker-Kommission noch zustimmen. Falls es keine Verzögerungen gibt, wird das neue Spitzengremium am 1. November seine Arbeit aufnehmen. Die EU und Kanada hatten erst am Freitag in Ottawa feierlich den Abschluss ihrer Freihandelsverhandlungen verkündet, die fünf Jahre dauerten. Das Abkommen - Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) - soll 2016 in Kraft treten und muss vorher noch förmlich gebilligt (ratifiziert) werden. Ceta gilt als Blaupause für das weitaus wichtigere TTIP.

Bei der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hat das Europäische Parlament seine Macht gezeigt und den luxemburgischen Christdemokraten gegen die Interessen so mancher Regierungschefs durchgesetzt. Mit den Anhörungen der designierten Kommissare wittern die Abgeordneten erneut eine Sternstunde des Parlamentarismus. Die Abgeordneten wollen die Kandidaten mit kritischen Fragen "grillen" – wie es drohend heißt.

Die Anhörungen sind in keiner Weise eine nette Plauderei, die Brüsseler Lobbykritiker-Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) hat belastende Hinweise gegen vier bis sechs Kandidaten gesammelt. Bei einigen handelt es sich um Unvereinbarkeiten in beruflicher Hinsicht, die es laut CEO nicht erlauben, ein hohes EU-Amt zu bekleiden (siehe Seite 3). Sollten die Parlamentarier nach dem Prüfverfahren ebenfalls zu diesem Schluss kommen, ist Juncker gut beraten, die Bedenken ernst zu nehmen. Wenn nötig, muss er umstrittene Kandidaten austauschen oder ihnen eine andere Aufgabe geben. Es nicht zu tun, würde die Zusammenarbeit zwischen europäischen Volksvertretern und der Kommission schwer belasten. Juncker riskiert auch, die finale Parlamentsabstimmung über sein gesamtes Team zu verlieren.

Wichtig ist, dass die Prüfung fair ist. Parteipolitische Kriterien haben bei der Beurteilung nichts zu suchen. Es geht einzig darum, ob die Kandidaten kompetent sind und eine Vision für die Zukunft der EU haben.

Werden diese Anforderungen erfüllt, geben die Anhörungen nicht nur Junckers Team entsprechende Legitimität, sondern sind auch geeignet, als Modell für Minister-Hearings auf nationaler Ebene zu dienen.