Politik/Ausland

Am Limit: Britische Polizei wird im Schlafen trainiert

Gebrochene Knochen, Gehirnerschütterungen, Kopfverletzungen - als Polizisten vergangenes Monat im nordenglischen Rotherham eine Flüchtlingsunterkunft vor Krawallmachern schützten wurden 51 von ihnen selbst verletzt. Beim bunten Notting Hill Carnival Ende August wurden dann 75 Polizisten angegriffen: sechs Beamte wurden gebissen, eine Person sexuell missbraucht, eine andere musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Doch schon zuvor war die britische Polizei an ihrer Belastungsgrenze. 2023 kam es zu insgesamt 40.330 Übergriffen auf Polizeibeamte – das sind durchschnittlich 110 Angriffe pro Tag. 

Diese Gewalterfahrung hat schwerwiegende Folgen. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 14.508 Beamten wegen Stress, Depressionen, Angstzuständen oder posttraumatischer Belastungsstörung krank geschrieben, berichtet der Daily Express

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Diese Zahl ist nicht nur neun Prozent höher als 2022, sondern ein Anstieg von 130 Prozent im Vergleich zu vor elf Jahren.

71 Prozent mehr Krankmeldungen in Manchester

Am meisten Krankheitsmeldungen gab es in den West Midlands (1.128), gefolgt von Schottland (1.110) und Greater Manchester (1 028 Abwesenheiten). In Manchester sind die Abwesenheiten in einem Jahr sogar um 71 Prozent gestiegen. Alle drei Regionen weisen eine besonders hohe Kriminalitätsrate auf, vor allem in Bezug auf Bandenaktivitäten, Messerkriminalität und Drogendelikte. 

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Um künftig Krankenstände zu verringern und die körperliche sowie geistige Gesundheit der Beamten zu verbessern, hat der polizeiliche Wohlfahrtsdienst „Oscar Kilo“ mit der John Moore University in Liverpool und der Polizeieinheit in Merseyside-Liverpool ein kurioses Projekt gestartet: sie wollen den Polizisten das Schlafen beibringen.

„Wir wissen, dass schlechter Schlaf zu körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen beitragen kann“, sagt die stellvertretende Polizeipräsidentin von Liverpool, Merseyside, Jenny Sims. „Deshalb wollen unseren Beamten und Mitarbeitern helfen, ihren Schlaf besser zu kontrollieren.“

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Denn derzeit bekommen 65 Prozent der britischen Polizeibeamten weniger als sechs Stunden Schlaf pro Nacht. Eine Studie der Universität Surrey mit dem Schlafzentrum der Washington State University ergab zudem, dass über 50 Prozent der Polizisten an einer diagnostizierbaren Schlafstörung leiden. 

Messgerät und Schlafexperte

Konkret werden bei dem Projekt ausgewählte Polizisten 120 Tage lang mit einem BioStrap-Gerät ausgestattet, um ihre Herzfrequenzvariabilität, Atemfrequenz, Schlafdauer und den Schlaftyp zu messen. Dazu bekommen sie Zugang zu Online-Ressourcen und Videos des britischen Schlaf- und Erholungsexperten Nick Littlehales. Er klärt über die vier Chronotypen (vom Frühaufsteher zur Nachteule) auf, erläutert, welche Schlafumgebungen ideal sind und dass der zirkadiane Rhythmus des Menschen darauf ausgelegt ist, in der Dunkelphase ein Optimum an Schlaf und Erholung und in der Hellphase ein Optimum an Leistung zu ermöglichen. 

Insgesamt 700 Personen haben mittlerweile an dem Schlafproframm teilgenommen und erste Analysen zeigen, dass die  App den Polizisten vor allem Druck nimmt: Seit sie morgens ihre Schlafdaten herunterlädt, erzählt Polizistin Amanda, zwinge sie sich nicht mehr jeden Tag zum gleich harten Training, sondern passe es an ihr jeweiliges Energielevel an. Und  einem leitenden Polizisten, der anonym bleiben möchte, half die App während seiner Krankheit: Durch das Beobachten seiner Werte konnte er sich jene Ruhe verordnen, die notwendig war, um schneller wieder gesund zu werden. 

Von der Versuchsgruppe in Liverpool wurde das Projekt nun auf weitere 27 Polizeidienststellen ausgeweitet.