Politik/Ausland

Kohl gibt Nachfolgern Schuld an Europa-Krise

Der 84-jährige Altkanzler im Rollstuhl, starrer Blick, fast unfähig zum Reden. Daneben der EU-Kommissions-Präsident, der schon zu Mittag müde wirkt: Es war eine eigenartige Stimmung bei der Präsentation des vielleicht letzten Buchs von Helmut Kohl: "Aus Sorge um Europa". Obwohl ihm Jean-Claude Juncker die Laudator-Ehre gab.

Der Kanzler der Wiedervereinigung, seit einem Sturz schwerst behindert, hat darin wohl vor allem Sorge um seinen Ruf. Die Vorabdrucke zeigen mehr Abrechnung mit seinen Nachfolgern als analytische Weitsicht. Nur diesmal viel weniger pointiert als in den von seinem unautorisierten Biografen vor Kurzem veröffentlichten Protokollen von 2001. Da zog Kohl im vermeintlichen Schutz der Vertraulichkeit ungeniert über Parteifreunde und -feinde her. Bitternis und Selbstgerechtigkeit klingen nun weniger spritzig.

Sein direkter Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) sei mit dem Bruch des EU-Stabilitätspaktes 2003 hauptverantwortlich für die Fehlentwicklung, für das forcierte Auseinanderleben des disziplinierten EU-Nordens vom reformunwilligen Süden. Er, Kohl, hätte sich diese Ursünde mit Frankreich nie vorstellen können: "Es war ein Rechts- und ein Vertrauensbruch und wirkte wie ein Dammbruch, geradezu wie eine Aufforderung zum Schuldenmachen." Schröder habe auch Griechenland viel zu früh in die Eurozone geholt, nun müsse diese das Desaster ausbaden.

Keine eigenen Fehler

Kanzlerin Merkel (CDU) wird von Kohl indirekt, aber auch klar gerüffelt: Das Ausladen von Putin aus der G8-Runde sei ein schwerer Fehler. Was die angemessene Reaktion auf Putins Aggressionen wäre, lässt Kohl aber offen.

Eigene Fehler streitet Kohl vehement ab, etwa das Ungleichgewicht in der Euro-Politik der EZB, wo Deutschland als Wirtschafts- und Stabilitätsgigant nicht mehr zu sagen hat als Zypern. Alle Berater hatten Kohl davor gewarnt, doch für die Wiedervereinigung und die Befriedung Europas schien ihm kein Preis zu hoch.

Erste Reaktionen auf das Buch fallen enttäuscht aus. Ein Kommentator hatte schon beim letzten Kohl-Buch den deutschen Kanzler Bismarck in seiner Zwangsrente zitiert: "Heute wieder die ganze Nacht durchgehasst."