Politik/Ausland

Als die Wähler das Wahlzuckerl Grundeinkommen einforderten

Mindestsicherung ist in weiter Ferne – aber das Vorhaben hat Scherzbolde auf den Plan gerufen. Bereits am Tag nach der Parlamentswahl war der Andrang im Büro der Steuerberatungsstelle in der süditalienischen Gemeinde Giovinazzo groß. „Die Fünf Sterne haben gewonnen, jetzt möchten wir die Formulare für das Grundeinkommen ausfüllen“, forderte eine Gruppe von 50 Personen. Ähnliches spielte sich vor Arbeitsämtern und Steuerbüros in Bari und Palermo ab. Der Andrang in Siziliens Hauptstadt war so groß, dass die Angestellten an die Tür einen Zettel mit der Information auf Italienisch und Arabisch hängten, dass es keine Formulare gebe.

„Keine Lust“

Es dauerte nicht lange, bis die ersten gefälschten Formulare in sozialen Medien auftauchten, die man nur ausfüllen musste, um angeblich in den Genuss des bedingungslosen Grundeinkommens zu kommen. Dazu sollte man seine persönlichen Daten angeben und eine der drei folgenden Punkte ankreuzen: „Derzeit arbeitslos“ oder „Keine Lust zu arbeiten“ oder „Ich glaube an den Weihnachtsmann“. Ganz oben auf einem der kursierenden Formulare war neben der Signatur der staatlichen Sozialversicherungsanstalt ein Spruch in neapolitanischem Dialekt abgedruckt, der soviel bedeutet wie: „keinen Bock auf Arbeit“.

Der „reddito di cittadinanza“ (Bürgereinkommen) für alle, das war das Wahlzuckerl der Fünf-Sterne-Bewegung. Die Fünf Sterne mit Spitzenkandidat Luigi Di Maio gewannen elf Millionen Stimmen und wurden stärkste Einzelpartei.

Das von ihm angekündigte „bedingungslose Grundeinkommen“ entspricht eher der Mindestsicherung, wie sie in EU-Ländern mit Ausnahme von Italien und Griechenland Standard ist. Der künftige Bezieher, so der Plan, muss nachweisen, täglich zwei Stunden aktiv nach Arbeit zu suchen. Lehnt er drei Jobangebote ab, wird das Geld gestrichen. Eine arbeitslose Person soll 780 Euro erhalten, eine Familie mit zwei Kindern bis zu 1638 Euro.

Rund 15 Mrd. Euro seien dazu erforderlich, rechnen die Fünf Sterne. Laut Ökonomen würde das Doppelte benötigt. „Was in punkto Armutsbekämpfung eine gute Idee wäre, ist aber aufgrund der hohen Staatsschulden Italiens (133 Prozent des BIP, Anm.) derzeit völlig illusorisch“, so Politologe Roberto Cartocci zum KURIER. Ob „dieser Lohn“, wie ihn viele nennen, jemals ausgezahlt wird, steht in den Sternen.

„Keine Hysterie“

„Viele Leute ließen sich von den Werbespots umgarnen“, sagt Giovinazzos Bürgermeister, der sich gegen das Image seiner Bewohner als Sozialschmarotzer wehrt: „Es gab keine Hysterie bei den Leuten, nur Neugierde.“

In Rom begannen am Mittwoch die Konsultationsrunden bei Staatspräsident Sergio Mattarella. „Ein langer, steiniger Weg steht bevor“, warnen Politbeobachter. Noch nie sei es so schwierig gewesen, eine neue Regierung auf die Beine zu stellen.

Di Maio signalisierte vorab Bereitschaft, mit der rechtspopulistischen Lega, aber auch mit dem Wahlverlierer, der Demokratischen Partei, zusammenzuarbeiten. Eine Koalition mit Berlusconis Forza Italia lehnt Di Maio strikt ab. Zu sehr steht der Ex-Premier für eine korrupten politische Klasse, die die Fünf Sterne stets anprangerten. Aber auch Lega-Chef Salvini pocht auf den Regierungssessel. Ob und wann die Italiener ein Mindesteinkommen beantragen können, ist ungewiss.