Alleingänge Putins machen sprachlos
Von Elke Windisch
Wladimir Putin wollte am 19. Oktober in Paris ein russisches Kulturzentrum eröffnen und bei der Gelegenheit auch seinen französischen Amtskollegen Francois Hollande treffen – daraus wird aber nichts. Der Kreml-Chef sagte den Besuch gestern ab und wollte auch ein Treffen im "Normandie-Format" (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine) am selben Tag nicht bestätigen. Nachrichtenagenturen hatten zuvor berichtet, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel habe Putin, Hollande und Ukraines Staatschef Petro Poroschenko nach Berlin eingeladen. Dort sollte die Runde ein weiteres Mal versuchen, die Kuh vom ukrainischen Eis zu holen. Über Syrien wollte man ebenfalls reden.
Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault hatte bereits Montag Zweifel geäußert, ob ein Treffen derzeit Sinn mache. Zuvor hatte Hollande selbst Russlands Vorgehen in Syrien als inakzeptabel kritisiert. Moskau müsse dafür zur Verantwortung gezogen werden. Notfalls vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal.
Drohungen
Doch das Vorhaben ist chancenlos. Moskau hat – wie auch Washington – das Abkommen zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) nicht ratifiziert und ist daher auch nicht an dessen Beschlüsse gebunden. Vor allem aber: Für die Anrufung des IStGH ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrates erforderlich, die Moskau mit seinem Veto blockieren würde.
Drohungen mit dem Internationalen Strafgerichtshof, fürchtet Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow, würden die Differenzen zwischen Russland und dem Westen aber weiter vertiefen. Frankreich stehe, anders als beim Einmarsch in den Irak 2003, in Syrien fest zu seinen transatlantischen Verbündeten. Nur wenn Russland und die Truppen von Präsident Bashar al-Assad bei den Kämpfen durchschlagende Erfolge erzielen könnten, würde sich der Westen gezwungen sehen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Syrien als Testgelände
Derzeit deutet wenig darauf hin. Moskau wie Washington machen den jeweils anderen für das Scheitern des gemeinsam ausgehandelten Waffenstillstands und für die anschließende Eskalation der Kämpfe in Syrien wie auch der diplomatischen Spannungen verantwortlich. Erst am Wochenende hatte Russland einen UN-Resolutionsentwurf Frankreichs für eine neue Feuerpause im Raum Aleppo und eine Flugverbotszone wie 2011 bei den Kämpfen in Libyen per Veto blockiert. Sollte auch in Syrien das Libyen-Szenario abgearbeitet werden und gehe es nach dem Willen jener Kräfte, die darauf bestehen, werde es dort zu noch heftigeren Verwerfungen kommen, warnt Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa.
Russische Militärs werfen ihren US-Kollegen inzwischen sogar vor, Syrien als Testgelände für einen Dritten Weltkrieg zu missbrauchen. Der Präsident der Akademie für geopolitische Probleme, Generaloberst Leonid Iwaschow, hofft allerdings, dass es sich bei einschlägigen Statements "um die Privatmeinung einer Gruppe von Generälen" handelt. Den USA sei klar, dass sie bei einem globalen Krieg einen Schlag gegen das eigene Territorium nicht verhindern könnten. Die Gefahr lokaler Konfrontationen – derzeit vor allem in Syrien – sei jedoch real existent.
Krieg gegen die Zeit
Moskau, schreibt das Massenblatt Moskowski Komsomolez, schaffe es nicht, mit anderen Ländern zu einer Verständigung zu kommen. Die Lage in Syrien laufe immer mehr auf ein Ende wie in der Ukraine hinaus. Daran werde auch Russlands Versuch scheitern, sich dauerhaft im Nahen Osten zu etablieren. Je länger indes die Kämpfe dauern, so Boris Malchow vom Nahost-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, desto schwieriger werde es, einen Kompromiss zwischen den syrischen Kriegsparteien zu vermitteln. Derzeit sei das nur in Einzelaspekten, nicht aber bei Grundsatzfragen möglich. Auch deshalb, glauben staatsnahe Experten, sei Moskau interessiert, dass Assad rasch die Kontrolle über ganz Syrien zurückgewinne.
Völliger diplomatischer Stillstand in Sachen Syrien; die Verlegung von Iskander-Raketen (atomwaffenfähig) nach Kaliningrad; die Aussetzung von Abkommen zur Vernichtung waffenfähigen Plutoniums sowie zur zivilen Nuklearforschung mit den USA seitens Moskaus; zugleich die Ankündigung des Kreml, die Basis Tartus in Syrien zu einem dauerhaften Stützpunkt machen zu wollen. All das in einer Woche.
Zugleich aus Europa – vor allem seitens der EVP – der Ruf nach schärferen Sanktionen gegen Russland wegen des Bombardements Aleppos durch die russische Luftwaffe. Elmar Brock, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament: „Wie wir das schon zu Zeiten des Kalten Krieges gemacht haben“. Zuvor hatte Washington die Gespräche mit Moskau über eine Erneuerung des Waffenstillstandes in Syrien bis auf unbestimmte Zeit beendet.