Politik/Ausland

Afghanistan: Woran die USA bislang gescheitert sind

Seit fast 40 Jahren herrscht Krieg in Afghanistan. Erst hatten die Sowjets versucht, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen – scheiterten aber am Widerstand der von den USA unterstützen Mudschahedin. Nach dem Abzug der Sowjets schlitterte Afghanistan in einen zermürbenden Bürgerkrieg zwischen den verschiedensten Fraktionen: Kriegsfürsten, Stammesmilizen, Islamisten (Taliban), die in den späteren 90er-Jahren praktisch die Kontrolle über ganz Afghanistan gewannen. In Folge der Anschläge vom 11. September 2001 begannen die USA und die NATO ihren Einsatz in dem Land. Die Taliban waren formell schnell besiegt, begannen in der Folge aber einen zähen Guerillakrieg gegen die ausländischen Soldaten wie auch die Regierung in Kabul. Dabei hat der schrittweise Rückzug der ausländischen Truppen gezeigt, dass die afghanischen Sicherheitskräfte den Taliban wenig entgegenzusetzen haben.

Mehr über Trumps neue Afghanistan-Strategie lesen Sie hier.

Wie stark sind die Taliban?

Trotz der zum Teil offen ausgetragenen Konflikte in der Führung haben sich die Taliban vor allem im Süden des Landes in vielen Regionen gegen die Regierung behaupten und ihre Gebiete ausweiten können und auch Provinzen im Norden und Westen des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Konkurrenz haben die Taliban seitens der ebenfalls nach und nach an Gebieten gewinnenden Terrormiliz Islamischer Staat. Zum Teil scheinen einzelne Kommandanten beider Gruppen aber auch miteinander zu kooperieren. Gespalten sind die Taliban vor allem entlang der Frage, ob man mit der Regierung verhandeln soll oder nicht.

Wie viel Macht hat die Regierung?

Die afghanische Regierung ist durch interne Machtkämpfe praktisch gelähmt. Die Führung teilen sich Aschraf Ghani (Präsident) und Abdullah Abdullah (Regierungschef). Beide waren bei den Präsidentschaftswahlen 2014 gegeneinander angetreten. Nach dem ersten Wahlgang war Abdullah klar in Führung gelegen und hatte zudem die Unterstützung zahlreicher ausgeschiedener Kandidaten, er verlor jedoch die Stichwahl klar. Abdullah erkannte daraufhin das Wahlergebnis nicht an. Nach zähen Verhandlungen konnte man sich auf die Doppelführung einigen. Die Arbeit der Regierung wird aber durch interne Konflikte gelähmt. Hinzu kommt, dass fragwürdige Personen in Regierungsämter gehoben wurden. So der berüchtigte ethnisch-usbekische Milizenführer Abdul Raschid Dostum, der von Ghani zu seinem Stellvertreter gemacht wurde. Ihm wird nachgesagt, er habe Gefangene in Cargo-Containern in der Wüste verdursten lassen. Eine andere Geschichte besagt, er habe Gefangene mit Panzern so lange überfahren lassen, bis von ihnen nichts mehr übrig war.

Woran sind NATO und USA bisher in Afghanistan gescheitert?

Afghanistan ist Heimat zahlreicher Ethnien, die einander nach Jahrzehnten des Krieges kaum über den Weg trauen: Usbeken, Tadschiken, Hazara, Paschtunen. Hinzu kommen starke traditionelle Stammesstrukturen, gegen die staatliche Strukturen kaum ankönnen. So wurden in Städten zum Beispiel zwar Gerichte aufgebaut, in vielen Fällen zählt aber für die Bürger dann das Urteil von Stammesältesten und nicht der Richter. Verstärkend hinzu kommen die topographischen Gegebenheiten: Schroffe und extrem hohe Berge, mangelnde Verkehrsinfrastruktur bei zugleich zentralasiatischem Klima. Viele Gegenden sind über Monate nicht erreichbar. Zugleich hat sich die Ineffizienz der Verknüpfung von humanitärer Hilfe mit einem militärischen Einsatz dramatisch gezeigt. Die Praxis der NATO in Afghanistan war, dass die weitaus größten Mittel in Unruheregionen flossen, während friedliche Gebiete wie zum Beispiel die Hazara-Region Bamjan (dort wurde versucht einen Ski-Tourismus aufzubauen, regiert wird die Region von einer gewählten Frau) kaum Mittel erhielten. Diese Praxis hat dazu geführt, dass Gewalt sehr oft schlicht zu einer Verhandlungsmethode um Geldmittel geworden ist.

Ist die afghanische Armee den Herausforderungen gewachsen?

Die afghanische Armee ist personell unterbesetzt und technisch schlecht ausgerüstet. Das liegt zum Teil an der mangelnden Finanzierung, vor allem aber auch an Korruption. Ein anderer Faktor ist die Bezahlung: Viele Rekruten wurden ausgebildet, boten dann aber ihre Dienste besser zahlenden Gruppen – im Idealfall Sicherheitsfirmen, im schlechtesten Fall Taliban oder IS. Hinzu kommen auch ethnische Differenzen, die beim Aufbau der Armee zum Problem werden. Zudem fehlt es an Transportlogistik und Aufklärungstechnik. Zwar gibt es einige Transportflugzeuge, die können den Bedarf aber keineswegs decken. Die Luftwaffe besteht gerade einmal aus 15 Propeller-betriebenen Kampfjets und einer Reihe von Hubschraubern, die die Sowjets bei ihrem Abzug 1989 zurück gelassen hatten. Die Reduktion des NATO-Engagements hatte zudem zur Folge, dass sich die Armee kaum mehr auf Luftaufklärung bzw. Luftunterstützung der NATO stützen kann. Waren die NATO-Truppen in den letzten Jahren zwar kaum mehr aus ihren Basen hinaus gegangen, so hatten sie aber doch immer eine Flotte von Drohnen in der Luft deren Aufklärungsdaten an die afghanische Armee weitergegeben wurden. Im Ernstfall griff die NATO auch mit Luftschlägen ein. Seit dem Jahr 2015 beschränkt sich die NATO rein auf die Ausbildung afghanischer Kräfte. Durchaus eine Erfolgsgeschichte was das angeht, sind jedoch Eliteverbände der Armee und des Innenministeriums, die ein sehr hohes Ansehen genießen.

Wie viele ausländische Soldaten sind in Afghanistan?

Der derzeit laufende NATO-Einsatz in Afghanistan (Resolute Support) hat einen Umfang von 12.000 Soldaten, die sich rein der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte widmen. Die USA haben derzeit 8.400 Soldaten in Afghanistan Stationiert. Die Vorgängermission ISAF (2001bis 2014) hatte zwischenzeitlich zu den stärksten Zeiten (2011/2012) an die 130.000 Mann in Afghanistan. 90.000 davon waren US-Soldaten.

Welche Rolle spielen Pakistan und Indien?

Taliban wie auch andere radikale Gruppen, die in Afghanistan aktiv sind, operieren von Pakistan aus. Pakistan steht gerade jetzt auch wieder nach Trumps Äußerungen in der Kritik, terroristischen Gruppen zumindest den Freiraum zu geben, in Afghanistan aktiv zu werden. Viel eher scheinen pakistanische Geheimdienste aber auch gezielt, solche Gruppen zu finanzieren. Aus pakistanischer Sicht droht Afghanistan zur Basis des Erzfeindes Indien zu werden. Tatsächlich ist Indien sehr aktiv im Handel und in der Diplomatie mit und um Afghanistan.

Wie einflussreich sind IS und El Kaida?

Die El Kaida ist gegenwärtig in Afghanistan kein Machtfaktor. Der IS hingegen scheint nach und nach an Gebiet zu gewinnen. Ironie am Rande: Zweitweise waren die Taliban die härtesten Gegner des IS – weil die Armee zu diesen Regionen keinen Zugang hatte. Zugleich hatte der IS mit einer Reihe spektakulärer Anschläge in Kabul auf sich aufmerksam gemacht. Zuletzt gab es aber vermehrt Berichte über zumindest punktuelle Kooperationen zwischen Feldkommandanten der Taliban und des IS.

Ist das Land sicher für Abschiebungen?

Es besteht ein Abkommen zwischen der EU und Kabul über die Rücknahme von Flüchtlingen. Deutschland und auch Österreich hatten zuletzt Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Fakt ist: Es gibt ruhige Regionen in Afghanistan – diese aber sind besonders das Ziel radikaler Gruppen. Wieder das Beispiel Bamjan: In der Region herrscht kein Krieg, dafür aber aus Mangel an Investitionen bittere Armut. Hazara (eine schiitische Minderheit) werden zudem massiv angefeindet. Hazara, die Bamjan verlassen, um etwa in Kabul ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, gehen ein großes Risiko ein.

Alle Inhalte anzeigen