Politik/Ausland

Machtkampf an verhärteten Fronten

Fünf Tage dauerte das blutige Kräftemessen zwischen Übergangsregierung und Islamisten in Ägypten schon an. Und beide Seiten schienen nicht daran interessiert, die Lage zu deeskalieren. Am Samstag hatte Übergangspremier Hazem al-Beblawi angedroht, die Muslimbruderschaft wieder auflösen zu wollen. Das Militär erklärte erneut, „sich nicht in die Knie zwingen“ lassen zu wollen. Die Islamisten bekräftigten ihrerseits die Absicht, nicht zu ruhen, bis ihr Präsident Mohammed Mursi wieder im Amt ist. Dieser Kampf hat seit vergangenem Mittwoch mehr als 750 Menschenleben gekostet. Die Schuld will keiner tragen.

ElBaradei in Wien

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Stimmen der Vernunft, die zu vermitteln versuchten, wurden in Kairo nicht mehr gehört. Mohammed ElBaradei, der bis zum Gewaltexzess vergangene Woche das Amt des Vizepräsidenten innehatte, verließ Ägypten am Sonntag in Richtung Österreich. Am Nachmittag kam der Friedensnobelpreisträger in Wien-Schwechat an, ließ sich allerdings an den Dutzenden Journalisten vorbeischleusen, ohne einen Kommentar über den Grund seiner Reise anzugeben. Der langjährige Chef der in Wien beheimateten UN-Atombehörde hat im ersten Wiener Gemeindebezirk immer noch eine Wohnung. Sein politisches Amt hatte ElBaradei aufgegeben mit der Begründung, für „keinen Tropfen Blut“ verantwortlich sein zu wollen. Der Liberale galt als einer der stärksten Kritiker Mursis, doch den Gewaltausbruch gegen dessen Anhänger wollte er nicht tatenlos mitansehen. Wie ein weiterer Vermittlungsversuch in Ägypten nun aussehen könnte, steht in den Sternen. Nach der erfolglosen Suche nach einem Ausweg will die EU ihre Beziehungen zu Kairo überprüfen. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger hatte im KURIER auch gefordert, die EU-Gelder zu stoppen – eine Drohung, die die ägyptische Regierung zurückweist.

Klima der Angst

Im Krisenland selbst wird die Sorge vor einem Bürgerkrieg immer größer. Selbst die Muslimbrüder sagten am Sonntag geplante Kundgebungen in der Hauptstadt ab, weil sie Übergriffe fürchteten. Zuletzt kam es zu regelrechten Akten der Lynchjustiz. In der Nacht gilt in weiten Teilen des Landes eine Ausgangssperre, die Polizei ist angewiesen, auf jeden zu schießen, der öffentliche Gebäude verwüstet. Nichtsdestotrotz zogen am Wochenende Plündererbanden durch Ägypten, die sich an den pharaonischen Schätzen in Museen bereicherten und Schulen stürmten. Auch die koptischen Christen fühlen sich als Zielscheibe. Oftmals suchen sie Schutz vor wütenden Mursi-Anhängern bei der Armee. Die Polizei greift mit aller Härte durch. Gegen 250 Anhänger der Bruderschaft sind Ermittlungen wegen Mordes und Terrorismus eingeleitet worden.

Mursis Partei soll ausgeblutet werden.Der Konflikt wurde am Sonntag weiter angefacht durch Spekulationen, Mursis Wahlsieg im Juni 2012 sei getürkt gewesen. Bei der Stichwahl habe Ahmed Shafik, ein Mann aus den Reihen Mubaraks, in Wahrheit gewonnen, schrieb die Zeitung Israel Hayom. Ausgerechnet die nun verfeindeten Militärs sollen Mursi zum Amt verholfen haben. Im Fall eines Siegs Shafiks wurden Unruhen der Islamisten befürchtet. Damals sei die Armee noch überzeugt gewesen, mit Mursi kooperieren zu können.

Bilder von den Ausschreitungen am Samstag:

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Erleichtert klatscht Hannes Anders in die Hände, als Sohn Michael und Enkelsohn Timon die Ankunftshalle betreten: „Gott sei Dank sind sie wieder da. Seit halb vier Uhr morgens tigere ich unruhig herum.“

Zwei Wochen lang waren die beiden auf Urlaub in Sharm El Sheikh gewesen. So lange sind Hannes Anders zwei Wochen noch nie vorgekommen.

Michael und Timon Anders sind braungebrannt. Sie haben versucht, den Urlaub trotz der herrschenden Unruhen im Land zu genießen. Ganz ausblenden konnte man es aber nicht. „Einige Gäste haben Panik bekommen und sind umständlich mit mehreren Stopps und für viel Geld verfrüht heimgeflogen“, erzählt Michael Anders.

„Man konnte auf einmal keine ausländischen Zeitungen mehr kaufen “, erzählt Urlauberin Sandra Schmidt. Im Hotel selbst habe man nicht viel mitbekommen, aber das Personal sei mehr in sich gekehrt gewesen. „Jetzt würde ich in keinem Fall mehr runterfliegen“, ergänzt Freundin Doris Hadwiger.

Auch Mutter Christa Putz ist glücklich, wieder in Wien gelandet zu sein. „Ich hatte Sorge, dass der Flughafen besetzt wird und wir nicht mehr wegkommen.“ Sie stellt klar: „Bevor ich noch einmal hinfliege, muss dort Ruhe herrschen.“

Immer weniger Gäste

Die Hotels seien immer leerer geworden. Vergangenen Mittwoch habe es eine Ausgangssperre gegeben. Nach sieben Uhr abends durfte keiner mehr das Hotel verlassen. „Nirgendwo spielte Musik, alles war finster“, berichtet Nora Putz.

Ein Hotelgast schaffte es nicht mehr rechtzeitig zurück. Er war auf Taucherausflug und kam erst nach sieben Uhr retour. Der Checkpoint verweigerte ihm die Durchfahrt und er musste die Nacht im Bus verbringen.

Ähnliches berichten Urlauber aus Hurghada. Thomas Strobl verbrachte die meiste Zeit im Hotel. „Wir wollten eigentlich Ausflüge machen, doch der Kleinbus war angeblich kaputt“, erzählt Thomas Strobl. „Als ich nachgefragte, hieß es, der Wagen sei in Ordnung, aber Ausflüge zu gefährlich.“

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Norweger, die im selben Hotel wie Strobl waren, seien von ihrer Fluggesellschaft aufgefordert worden, frühzeitig heimzufliegen. Dabei waren sie erst am Mittwoch angekommen. „Aber gut so, die Frau hat nur mehr geweint.“

Die Fluggesellschaften Austrian Airlines und Flyniki bestätigen, dass weiterhin alle Flüge nach Plan gingen. Die AUA-Maschinen nach Ägypten seien jedoch unbesetzt.

KURIER: Herr Minister, Sie haben Freitag den ägyptischen Botschafter ins Außenamt bestellt, was haben Sie gesagt?

Michael Spindelegger: Ich habe klargemacht, dass wir die Art, wie in Ägypten vorgegangen wird, also Eskalation auf der Straße und kein Dialog, einfach nicht akzeptieren können. Das ist eine sehr bedenkliche Situation. Das muss er jetzt seiner Regierung berichten.

Was hat er geantwortet?

Gar nichts. Das wird zur Kenntnis genommen und weitergeleitet.

Keine Darstellung der ägyptischen Position?

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Die ägyptische Position ist: Wir haben aufgrund der Demonstrationen und der Unzufriedenheit der Bevölkerung Präsident Mursi absetzen müssen, und das Militär hat da eine außergewöhnliche Rolle gehabt.

Wertet Österreich die Absetzung Mursis als Putsch?

Man muss beide Seiten der Medaille sehen. Das eine ist das militärische Eingreifen gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten. Das andere die Größe der Proteste gegen Mursi, die hat die gegen Mubarak überstiegen.

Also Putsch oder nicht?

Die Etikettierung – Putsch oder Militärintervention – ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass es rasch Neuwahlen gibt, damit es wieder eine demokratisch legitimierte Vertretung Ägyptens gibt.

Welche Handhabe hat der Westen, die Gewalt zu stoppen?

Ich habe mit Außenminister Westerwelle ein außertourliches Treffen der EU-Außenminister vorgeschlagen, die EU muss mit einer Zunge sprechen. Bei den finanziellen Hilfen muss es Druck geben: Die politische Maxime der EU „Mehr für Mehr – Weniger für Weniger“ muss konsequent umgesetzt werde. Es kann kein Mehr geben, wenn dieser Zustand anhält.

Das heißt ein Stopp der Hilfe?

Das ist meine Forderung: Die fünf Milliarden Euro müssen zurückgehalten werden, bis der Prozess wieder in Richtung Demokratie geht.

Der Westen sieht die Gewalt, braucht Ägypten aber als relativ moderaten Player in der Region – eine Zwickmühle?

Natürlich braucht man diesen Player. Aber wenn militärisches Einschreiten und Ausnahmezustand statt Demokratie die Oberhand haben, hat das auch Einfluss auf andere Staaten.

Muslimbrüder an der Macht waren dem Westen nicht geheuer.

Wenn sie demokratisch legitimiert sind, können wir das nicht uminterpretieren. Aber man muss demokratisch legitimiert auch Grundsätze einhalten, kann sich keine Verfassung zurechtbiegen und die Scharia einführen.

Wien sprach eine Reisewarnung aus, als die USA ihre Bürger längst zum Heimkehren aufgefordert und die Skandinavier ihre bereits ausgeflogen haben – warum so spät?

Wir haben schon Mittwoch ein Team in die Urlaubsorte am Roten Meer geschickt und gesehen: Es ist noch relativ ruhig, aber die Demonstrationen mit Toten können auch überschwappen. Daher haben wir gesagt: Es sollen keine neuen Reisen angetreten werden, aber diejenigen, die dort sind, müssen nicht in Panik abreisen.

Und falls die Lage eskaliert?

Wir haben Notfallpläne und können die Menschen rasch nach Hause bringen.