Politik/Ausland

Die Bauchtänzerin und die Salafistin

Eine Bauchtänzerin! Allein das Wort sollte in Ägypten eine anständige Frau nicht in den Mund nehmen – geschweige denn ihre Hüften mit schlangenhaften Bewegungen vor Publikum kreisen. In Kairo sagt mir eine harmlose Hotel-Kellnerin, jeder weibliche Teenager würde daheim tanzen üben. Bauchtanz wird auf unzähligen TV-Kanälen angeboten. Ägyptens Hassliebe zu seinen Bauchtänzerinnen ist der Stoff, aus dem Frauen-Illusionen hier gemacht sind, weil es sonst wenig zu träumen gibt.

Selten zuvor hatte der Beruf eine größere Zuwachsrate als seit dem Sturz der islamischen Regierung von Mohammed Mursi im Juli 2013 durch die Militärs. Die Islamisten wollten lieber beten als tanzen. Unter ihrer Herrschaft schlossen verängstigte Nachtclub-Besitzer ihre Lokale.

Jetzt ist Bauchtanz vor allem bei Armee und Sicherheitsapparat "in". Kaum eine Hochzeit der herrschenden Militärs findet mehr statt ohne Bauchtänzerin. Je höher der Dienstgrad, desto berühmter ist die engagierte Bauchtänzerin und niemand ist größere Favoritin als Ägyptens Super-Star Dina Talaat, die ich ein Jahr lang begleitete. Sie ist eine Provokation auf zwei Beinen. In Kairo werden Taxifahrer aufgeregt, wenn ich Ihnen sage, wir fahren zu Dina.

Ein Insider erzählt mir, angeheuert wird Dina wie alle Tänzerinnen der oberen Kategorie über das im Innenministerium angesiedelte "Amt für Moral". Ort, Zeitpunkt, Länge der Darbietung und Preis werden ausgerechnet von so einer sittlichen Überwachungsstelle aushandelt. Anfragen der Armee ablehnen sollte keine Tänzerin. Es sich mit der zu verscherzen, ist riskant, obwohl auch Dinas Honorar um einiges niedriger ausfällt als bei üblichen Auftritten.

Als ich die Bauchtänzerin bei einer Militär-Hochzeit begleiten wollte, wird nichts daraus. Bei der Hochzeit einer dem Geheimdienst nahestehenden Familie werde ich hinausgeschmissen.

Verlustgeschäft

Alle Inhalte anzeigen
Um in Armee-Clubs überhaupt eingelassen zu werden, muss man zur jeweiligen Familie gehören oder Dina heißen. Ein Presseausweis ist keine geeignete Eintrittskarte. Militärclubs überall im Land werden auch entfernten Familienmitgliedern zur Verfügung gestellt, falls sie sich nicht einen üblichen Festsaal leisten können. Alle Clubs seien daher Verlustgeschäfte.

Die Armee verwaltet ihren riesigen Besitz schlecht. Manche sagen, sie kontrolliert 40 Prozent der Wirtschaft genauso dilettantisch.

Absurd, weil das Land jeden Geldschein brauchen könnte. Noch überlebt Ägypten mit rund 12 Mrd. Euro Finanzhilfe aus den Golfstaaten, vor allem aus Saudi-Arabien. In den vergangenen Wochen gab es aber die ersten Streiks. Die Unzufriedenheit steigt, weil viele Versprechen der Putschisten bis heute nicht eingelöst sind.

Von der angekündigten Demokratisierung ist wenig zu spüren. Nach Schätzungen sind mindestens 16.000 Menschen der verschiedensten politischen Gruppen in Haft. Dazu zählen Aktivisten des arabischen Aufstandes wie Abd al Fattah – festgenommen, als er im Jänner gegen eine Schein-Wahl über die neue Verfassung protestierte. Die gesamte Führung der inzwischen verbotenen Muslimbruderschaft sitzt im berüchtigten Tora-Gefängnis.

Der neue "Mubarak", Feldmarschall Abdel Fatah al-Sissi, gilt schon jetzt als sicherer Sieger bei den Präsidentschaftswahlen.

Sein harter Kurs wird mit dem steigenden islamischen Terror gerechtfertigt. Militante Islamisten stecken angeblich hinter dem Anschlag im vergangenen Jänner vor dem Polizei-Hauptquartier in Kairo. Vier Menschen starben. Danach gab es ein für die angeschlagene Tourismus-Wirtschaft beunruhigendes Attentat gegen einen Touristen-Bus auf dem Sinai, seit Jahren rechtloses Gebiet. Terror-Zellen auf dem Sinai sind eine Mischung aus Gotteskriegern und Kriminellen. Beide entkamen in Massen während des Chaos des Arabischen Frühlings aus Gefängnissen.

In Kairo weht inzwischen auch für ausländische Reporter ein scharfer Wind. Berichterstattung ist, wie zu Zeiten Mubaraks, wieder stark eingeschränkt. Bürokraten stellen mir ständig neue Ausweise aus. Polizisten auf den Straßen akzeptieren die nicht. Geheimdienstler in Zivil bespitzeln jeden meiner Schritte.

Ein glückloses TV-Team des Sender Al Jazeera ist bereits seit Monaten in Haft. Die Anklage lautet auf nicht weniger als auf "Terrorismus."

Wie viele Ägypter kümmert das die Bauchtänzerin Dina wenig, weil ihr alles lieber ist als die Religion an der Macht. Von einem Gottesstaat träumen aber Millionen fromme Ägypter, darunter auch Dinas Schwester, eine Salafistin mit Vollkörper-Umhang und Gesichtsschleier.

Abends, wenn die Salafistin Rita ihre Gebete verrichtet, tritt die Bauchtänzerin Dina bei den Militärs auf. Das gespaltene Ägypten, dass ich auf den Straßen sehe, spielt sich beinahe spiegelgleich in Wohnungen wieder.

Schmutziges Geld

Bei Dina und Rita sind die Familien-Verhältnisse noch zusätzlich kompliziert: Weil die Salafistin ihre meiste Zeit mit Gebeten verbringt, kommt sie kaum zum Arbeiten. Die reiche Dina steckt ihr Geld zu. Theoretisch dürfte eine streng Religiöse kein "schmutziges Geld", verdient durch den Bauchtanz, annehmen, umso weniger, wenn es von Anti-Mursi-Kreisen stammt. Die Bauchtänzerin sagt mir, sie hilft, um ihre Schwester davor zu bewahren, noch mehr abzudriften in Richtung radikaler Salafismus. Der Salafistin hingegen wäre es am liebsten, die Schwester würde nicht nur aufhören für Armee und Polizei zu tanzen, sondern den Beruf an den Nagel hängen.

Keine will nachgeben.

Zusätzliche Facette des Schwestern-Schicksals: Bis vor 13 Jahren trat die Salafistin als Sängerin in Nachtclubs auf: Warum sie religiös wurde, frage ich sie. Hatte sie ein Ehemann dazu gezwungen? Kein Ehemann, aber Männer im Allgemeinen, meint Rita. Sie deutet Belästigungen durch Musikmanager an. Unsere Männer, meint sie, seien damals unerträglich gewesen.

Sie sind es immer noch. Unter der islamischen Regierung wurden oft Belästigungen öffentlich angeprangert. Frauen-Organisationen sagten mir damals, sie mutmaßten Islamisten dahinter. Die Islamisten gingen, die Belästigungen blieben, auch wenn niemand mehr darüber redet. Kairo steht in der Statistik der für Frauen bedrohlichen Städte auf dem unrühmlichen ersten Platz.

Erst vergangene Woche bestätigte Kairo wieder seinen miserablen Ruf: Auf dem Universitätsgelände rissen laut Augenzeugen junge Männer einer Studentin beinahe die Kleider vom Leib, bevor sie sich in letzter Minute in eine Toilette in Sicherheit flüchten konnte.

Der Uni-Rektor beschuldigte jedoch das Opfer, es hätte mit ihrem "rosafarbenen Pullover und mit ihren schwarzen Leggings" den Zwischenfall erst ausgelöst.

Daraufhin griff noch der bekannte Fernsehmoderator Tamer Amin den Fall auf und beschimpfte die Studentin. Sie hätte ausgesehen wie eine "Bauchtänzerin", außer das so eine sich besser anziehe!

Alle Inhalte anzeigen
Dina kennt diese Art von Beleidigungen gut. Zumindest, sagt sie mir, gäbe es Verordnungen, dass kein Kunde ihr zu nahe kommen dürfe, wenn sie auftrete. Der Nabelbereich wäre immer bedeckt. Islamisten hindert das nicht daran, sie zu bedrohen, obwohl Dina selbst eine Fromme zur Schwester hat. Ob sie ihrer salafistischen Schwester denn trauen könne? "Meiner Schwester schon, aber nicht den Salafisten."

Buchtipp: "Die Bauchtänzerin und die Salafistin – Eine wahre Geschichte aus Kairo" – Amalthea Verlag März 2014