Politik/Ausland

Russischer Pilot: Ohne Vorwarnung abgeschossen

Der überlebende Pilot der an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossenen russischen Maschine hat gegenüber russischen Staatsmedien erklärt, es habe vor dem Abschuss keine optische oder Funk-Warnung der Türkei gegeben. Man habe auch zu keinem Zeitpunkt türkischen Luftraum überquert, sagte der Pilot demnach am Mittwoch.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hält den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei für womöglich von langer Hand vorbereitet. "Wir haben ernste Zweifel, ob es sich um einen spontanen Akt handelt, es ist mehr wie eine geplante Provokation", sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Moskau.

Alle Inhalte anzeigen

Lawrow telefonierte zuvor mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Der russische Außenminister sagte, man werde seine Beziehungen zur Türkei künftig ernstlich überdenken. Es gebe keine Pläne für Besuche aus Ankara und der Abschuss werde auch Auswirkungen auf die zuletzt in Wien geführten Friedensverhandlungen haben. Es sei kein Geheimnis, dass syrische Terroristen türkisches Territorium für Angriffe nutzten. Andererseits betonte Lawrow, Russland werde "keinen Krieg" mit der Türkei führen.

17 Sekunden im türkischen Luftraum?

Nach NATO-Erkenntnissen dürfte die Darstellung des Bündnispartners Türkei zutreffen, wonach der Bomber vom Typ Suchoi Su-24 nach einer Verletzung des türkischen Flugraums beschossen wurde. Moskau betonte, der Flieger habe für die Türkei keine Gefahr dargestellt und sei über syrischem Boden abgeschossen worden. Kreml-Sprecher Peskow wertete den Abschuss als Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Bild-Zeitung zitierte aus einer „Geheimanalyse“ des Verteidigungsministeriums in Berlin, wonach der russische Jet nur 17 Sekunden im türkischen Luftraum war und über syrischem Territorium getroffen wurde.

Erdogan für Deeskalation

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für eine Entschärfung des Konflikts geworben. „Wir denken definitiv nicht an so etwas wie eine Eskalation dieses Zwischenfalls“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch in Istanbul.

Alle Inhalte anzeigen

„Wir verteidigen nur unsere eigene Sicherheit und das Recht unserer Brüder.“ Laut Erdogan stellte sich erst nach dem Abschuss des Kampfjets heraus, dass es sich um ein russisches Flugzeug handelte. Erdogan kritisierte erneut die Luftangriffe der Russen in der von der turkmenischen Minderheit besiedelten syrischen Grenzregion zur Türkei, in der das abgeschossene Kampfflugzeug operierte.

IS in dieser Region nicht präsent

„Es wird behauptet, sie würden dort gegen Daesch (die Terrormiliz Islamischer Staat/IS) vorgehen.“ Dort sei der IS aber gar nicht vertreten. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der Turkmenen in Syrien.

„Die Türkei ist nicht auf der Seite von Spannungen, Krisen und Feindseligkeiten. Sie war immer auf der Seite von Frieden, Dialog und Diplomatie“, sagte Erdogan. „Wir werden diese Haltung auch weiterhin beibehalten.“ Niemand könne aber erwarten, dass die Türkei eine fortwährende Verletzung ihrer Grenzen und ihrer Souveränität „stillschweigend und teilnahmslos“ hinnehme.

Zuvor hatte Erdogan mit US-Präsident Barack Obama über den Vorfall beraten. Wie das US-Präsidialamt mitteilte, bekräftigte Obama in dem Telefonat, dass der Nato-Partner Türkei das Recht habe, seine Souveränität zu verteidigen. Zugleich stimmten beide Politiker darin überein, dass die Lage nicht eskalieren dürfe. Es müssten Vorkehrungen getroffen werden, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederhole.

Putin: Einer der Piloten auf russischer Basis

Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte laut russischen Nachrichtenagenturen, das Problem sei nicht der Abschuss der russischen Maschine - vielmehr sei problematisch, dass die gegenwärtige türkische Führung in den vergangenen Jahren die "Islamisierung ihres Landes" unterstützt habe.

Putin hat mittlerweile die Rettung eines der beiden Piloten bestätigt. Der Soldat befinde sich auf der russischen Basis Hamaimim südlich von Latakia in Syrien, sagte der Kremlchef am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Libanesische Medien hatten berichtet, die syrische Armee habe den Mann in Sicherheit gebracht. Putin bestätigte, dass der zweite Pilot bei dem Zwischenfall am Vortag ums Leben gekommen sei. Er kündigte auch an, Russland werde seine Luftwaffenbasis in Syrien mit einem S-300-Raketensystem aufrüsten.

Alle Inhalte anzeigen

Iran: Falsches Signal

Der Abschuss des russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei war aus iranischer Sicht ein „falsches Signal“ an die Terroristen. Die internationale Gemeinschaft sollte besonders in diesen Tagen Terroristen gegenüber Solidarität und Stärke zeigen und nicht das Gegenteil. „Mit diesen falschen Signalen und Botschaften werden die Terroristen nur noch mehr ermutigt, ihre Terroroperationen in der Region und weltweit fortzusetzen“, sagte Außenamtssprecher Dschaber Ansari in einer Presseerklärung am Mittwoch.

Doch gemeinsame Kommandozentrale?

Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist Russland nach Angaben seines Botschafters in Paris zur Einrichtung einer gemeinsamen Kommandozentrale mit Frankreich, den USA und anderen Ländern wie etwa der Türkei bereit. „Die Perspektive ist möglich (...) - wenn sie es wollen“, sagte der Diplomat Alexander Orlow am Mittwoch russischen Agenturen zufolge. Die Koalition könne unterschiedliche Formen haben. „Koordination ist unbedingt nötig. Aber wir sind bereit, weiterzugehen und Schläge gegen den Islamischen Staat gemeinsam zu planen“, sagte er demnach in einem Interview des Radiosenders Europe 1. Auf die Frage, ob Moskau einer Teilnahme der Türkei zustimmen würde, sagte Orlow, Moskau würde sich „natürlich darüber freuen“, wenn die Türkei dies wolle.

Dem widerspricht Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Er bekräftigte, dass Moskau alle militärischen Kontakte mit Ankara vorerst einfrieren werde.

An diesem Donnerstag wird auch der französische Präsident François Hollande in Russland erwartet.