67 und kein bisschen leise
Von Patricia Haller
Der Bösendorfer Flügel in der österreichischen Botschaft in Istanbul ließ seine Finger kribbelig werden. Da setzte sich der Zweite Präsident des Nationalrates kurzerhand ans Instrument und unterhielt die ÖVP-Abgeordneten-Riege abends mit einem breiten Repertoire - von Frank Sinatra und Swing über kraftvollen Boogie-Woogie bis zum melancholischen Wienerlied. Neben Klavier spielt Fritz Neugebauer Gitarre - "für den sonntäglichen Hausgebrauch. Im Kanzleramt habe ich auch schon einmal Klavier gespielt. Da steht in einem Raum ein Steinway und dort habe ich bei der vorletzten Gehaltsrunde, während über Zehntelprozentpunkte beraten wurde, ein bissl herumgeklimpert", erinnert er sich und lächelt verschmitzt.
Neugebauer hat Seiten, die einem breiten Publikum nicht bekannt sind. In der Öffentlichkeit gilt er als Betonierer, als einer, der nur die Interessen der Beamten verteidigt - der Parade-Interessensvertreter, der nie der erste ist, der vom Verhandlungstisch aufsteht. Die, die ihn gut kennen, schätzen seinen Humor und seine Schlagfertigkeit, die oft von einem Augenzwinkern begleitet ist. "Er scherzt, ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Das geht in der Funktion nur, wenn man über den Dingen steht", beschreibt ihn ein jahrelanger Mitstreiter in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD).
Wiederwahl
Stärke Beleg dafür, dass Neugebauer die Klaviatur des Interessensvertreters beherrscht, ist der Mitgliederstand der GÖD. Trotz Personalabbaus, Zurückdrängens der Pragmatisierungen und Ausgliederungen hat die GÖD seit Jahren stabil mehr als 230.000 Mitglieder - vom Hochschullehrer über den Polizisten bis zum Arzt. Die Stärke der GÖD ist zweifellos mit dem Vorsitzenden verbunden. Längst pensionsreif, stellt sich der 67-jährige Christgewerkschafter kommende Woche der Wiederwahl, weil er "das Feuer noch spürt", wie er sagt. Er wurde dazu nicht nur aus den eigenen Reihen ermuntert. Auch in der Fraktion der Sozialdemokratischen Gewerkschafter hat "der Fritz" sehr treue Fans.
"Er ist durch und durch Gewerkschafter, dann kommt sehr lange nichts. Und dann kommt irgendwann die Partei. Er ist ein perfekter Stratege, der immer weiß, was er will und wie er dorthin kommt. Zu Kompromissen neigt er nicht leicht", erzählt eine frühere, langjährige Kabinettsmitarbeiterin aus der ÖVP-Riege.
Für die ÖVP ist Neugebauer trotzdem wichtig. Zwar musste er den Chefsessel des ÖVP-Arbeitnehmerbundes ÖAAB 2009 nach sechs Jahren wegen "Beamtenlastigkeit" abgeben, doch auf seine Mobilisierungskraft zu Wahlzeiten kann die ÖVP nicht verzichten. Rund ein Drittel der 250.000 ausgewiesenen ÖAAB-Mitglieder sind öffentlich Bedienstete.
Tradition
"Dass er wieder Vorsitzender wird, zeigt, dass ein Führungswechsel keine Priorität hat. Es bleibt bei der traditionellen Linie. Neugebauer ist nicht der Ausbund des Reformers. Er ist ein knallharter Steher", urteilt Politikwissenschaftler Emmerich Tálos.
Diesen "knallharten Steher" haben viele Minister und Staatssekretäre aus SPÖ und ÖVP schon zu spüren bekommen. Das Prinzip der GÖD ist dabei ebenso simpel wie wirkungsvoll: Tabus werden hochgehalten, womit das Gegenüber gleich den Spielraum kennt. Vorteilhafte Strukturen werden konserviert, etwa: unbegrenzter Zuverdienst in der Frühpension; Unkündbarkeit; unbeschränkte Krankengeld-Fortzahlung oder Fortbezug des Gehaltes bei Dienstunfähigkeit.
Als Bollwerk der GÖD gilt die Lehrergewerkschaft, aus der Neugebauer stammt. "Die GÖD fürchtet, dass eine Veränderungen bei den Lehrern einen Dominoeffekt auf die anderen Bereiche im Öffentlichen Dienst auslöst. Deswegen geht dort gar nichts", urteilt ein Insider. Die Industriellenvereinigung, die gerade in der Bildung Reformeifer erwartet, ist von Neugebauers Verbleib enttäuscht. Generalsekretär Christoph Neumayer: "Das ist kein Signal des Aufbruchs und keines der Veränderung, eher eines des Beharrens."
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