Juliette in Hollywood: Ein moderner Blick auf ein zeitloses Drama
Von KURIER Marketing
Die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole hat einen Shakespeare-Klassiker neu interpretiert und das zeitlose Drama „Roméo et Juliette“ in einen modernen Kontext gebracht. Ihre Version spielt im Hollywood der 1990er-Jahre, wo sich zwei rivalisierende Filmstudio-Dynastien – Capulet und Montague – seit Jahrzehnten durch Filme, Interviews, Skandale, Klatsch, etc. bekämpfen. Im Gespräch mit KURIER gewährt Marie-Eve Signeyrole einen Einblick in ihre kreativen Prozesse, ihre Inspiration und die Herausforderungen, denen sie bei der Gestaltung dieses ikonischen Stücks gegenüberstand.
KURIER: Könnten Sie zunächst Ihre Herangehensweise an die Inszenierung von „Roméo et Juliette“ erläutern?
Marie-Eve Signeyrole:
Juliette, die Tochter der Capulets, wuchs in der Welt des Luxus und des Glanzes auf und entdeckte sehr früh (zu früh!) die dunkelsten Aspekte der Filmbranche: dekadente Partys, Drogen, von Dominanz geprägte Beziehungen, Missbrauch und unangemessene Gesten von Erwachsenen. Wir haben uns von Filmfamilien und Persönlichkeiten, wie Francis Ford Coppola und seiner Tochter Sofia Coppola, inspirieren lassen. Sie begann ihre Karriere bereits als sehr junge Schauspielerin in den letzten beiden Teilen der Trilogie ihres Vaters, „Der Pate“. Ihr Wunsch war es jedoch, hinter der Kamera zu stehen, Drehbücher zu schreiben und Filme zu inszenieren.
Gibt es spezifische Aspekte Ihrer Produktion, die Sie hervorheben möchten?
Ich habe meine Inszenierung auf die Figur der Juliette (Mélissa Petit) im Kontext zu ihrer Familie – den Capulets – konzentriert. Ich sehe sie als eine sehr moderne, feministische Figur und nicht als Karikatur des reinen jungen Mädchens in einem weißen Kleid, das nach Leben dürstet. Für mich ist sie eine Frau, die unfähig ist, in der Umgebung zu leben, in die sie hineingeboren wurde. Das gehört zum Charakter des Melancholischen, der Einsamkeit, aus der nur Leidenschaft und Tod sie befreien können. Roméo (Julien Behr) ist die ideale Muse; Er selbst hat einen sehr lebhaften Charakter voll von jugendlichem Elan. Damit ermöglicht er es Juliette, ihrem Zustand als junges Mädchen zu entfliehen und zu einer jungen Frau zu werden. Liebt sie ihn oder liebt sie das Gefühl der Liebe, das es ihr ermöglicht, ihren Selbstmord zu rechtfertigen? All das erleben wir durch die Augen Juliettes, die wir durch die Kamera „ersetzen“.
Sie integrieren oft Video-Sequenzen in Ihre Produktionen. Wie verwenden Sie dieses Medium, um die Handlung von „Roméo et Juliette“ zu erweitern oder neue Bedeutungsebenen zu eröffnen?
Ich muss selbst von meinen Charakteren bewegt sein, um das Publikum damit zu berühren. Die Kameras ermöglichen es uns, den Darstellenden näher zu sein, sonst verlieren wir so viel von ihrem Spiel und ihren Ausdrücken. Wenn wir Live-Kameras verwenden, versuchen wir immer, sie sinnvoll einzusetzen. Wie Sofia Coppola ist auch unsere Juliette der Star des neuen Films ihres Vaters, möchte aber Filmemacherin werden und beschließt, ihr Leben selbst zu lenken und ihrem Vater nicht mehr zu gehorchen. Sie filmt ihr ganzes Leben, sogar intime Momente und dunkle Geheimnisse. Es ist ihre Art, sich in dieser erstickenden Familie zu stärken. Dabei behält sie alle Aufzeichnungen bei sich. Nach ihrem Tod wird dieses Material zum Tagebuch ihres Selbstmordes. Mélissa Petit weiß, wie man mit Kameras spielt und gibt uns eine breite Palette von Emotionen und Schattierungen. Natürlich verwenden wir das Medium Video auch, um unseren Charakteren weitere Ebenen und Hintergründe zu geben und um einige Aspekte des Charakters zu verstärken, die im Text nicht offensichtlich sind.
Welche Botschaft oder welches Gefühl soll das Publikum nach der Vorstellung mit nach Hause nehmen?
Ich möchte dem Publikum ein visuelles und emotionales Erlebnis bieten und hoffe, dass es ohne Vorurteile in diese Erfahrung eintaucht. Roméo et Juliette ist ein universelles Stück im Sinne dessen, dass wir alle potenzielle ROMEO UND JULIAS sind. Deshalb gibt es so viele Interpretationen dieses Stücks, wie es Menschen gibt, die es hören, lesen und sich vorstellen können.
Wie sehen Sie die Bedeutung von Oper und Theater im modernen kulturellen Kontext, und wie hoffen Sie, dass Ihre Herangehensweise beim Publikum Anklang findet und Einfluss nimmt?
Theater lädt das Publikum dazu ein, sich selbst zu hinterfragen, sich in ein Wort, eine Musik, einen sozialen und politischen Gedanken einzufühlen und sich damit auseinanderzusetzen. Ich bin nicht hier, um zu gefallen oder nur zu unterhalten. Ich arbeite mit meinem ganzen Team daran, dass die Zuschauer*innen sich in dem Geschehen auf der Bühne emotional wiederfinden können.
Die berührende Musik Gounods wird interpretiert vom Radiosymphonieorchester Wien (RSO) unter der Leitung des Dirigenten Kirill Karabits. Auf der Bühne sind, neben den Titelpartien Mélissa Petit und Julien Behr, u. a. auch Daniel Mirosław (Frère Laurent), Leon Košavić (Mercutio), Svetlina Stoyanova (Stéphano), Brett Polegato (Capulet) und Carole Wilson (Gertrude) zu erleben.