Luxus ganz profan: Mit dem Ferrari Purosangue im Alltagsverkehr
Von Horst Bauer
Die Sache mit dem Preis muss geistig gleich einmal ins Eck gestellt werden.
Schließlich werden sich Käufer des Ferrari Purosangue auch nicht jeden Tag vor Augen halten, dass sie eine Mobilie von rund 600.000 Euro den Risiken des normalen Alltagsverkehrs aussetzen. Von den Überlegungen ganz zu schweigen, die von dem Faktum ausgelöst werden können, dass gut 270.000 Euro des Kaufpreises direkt in die Staatskasse geflossen sind, bevor noch die österreichischen Nummerntafeln befestigt werden durften.
Gelingt es zudem, die Ehrfurcht vor dem großen Namen und die besondere automobilhistorische Bedeutung (erster Ferrari überhaupt mit vier Türen) auszublenden, wird auch der Purosangue einfach zu einem Auto, das für den Transport von Passagieren und Gepäck von A nach B dient. Mit allen profanen Begleiterscheinungen, die im Praxiseinsatz damit verbunden sind.
So spülen diese etwa bei einer Fahrt von Wien nach Kärnten und zurück, samt Bewältigung von Aufgaben aus dem Lastenheft individueller Mobilität Eigenschaften des elitären Personentransporters an die Oberfläche, die es bei einer ersten Testfahrt auf ausgesuchter Strecke in den Dolomiten nicht in den Vordergrund der Aufmerksamkeit geschafft haben.
Zunächst ist aber zu berichten, dass sich der Purosangue auch abseits des auf seine Kernkompetenzen zugeschnittenen Ambientes als echter Ferrari erweist.
Der Stammtisch-Debatte (bzw. Foren-Aufregung) um die Frage, ob es sich beim ersten Viertürer aus Maranello nicht doch um ein SUV handelt, wird durch dessen praktische Anwendung die Luft abgelassen. Auch wer sich innerhalb des engen Korsetts der heimischen Tempolimits auf öffentlichen Straßen bewegt, merkt, dass er hier nicht mit einem Geländewagendarsteller, sondern mit einem Supersportwagen unterwegs ist.
Dass der Purosangue ob der 750 PS seines 6,5-Liter-Zwölfzylinders, des über elektrische Aktuatoren gesteuerten aktiven Federungssystems oder der mächtigen Karbon-Bremsen über Zweifel an Fahrleistungen oder Lenk- und Bremsverhalten erhaben ist, muss so nicht extra betont werden. Selbst wenn auf diese Talente im heimische Alltagseinsatz nur in Ausnahmefällen konzentriert zurückgegriffen werden kann: Der geringe Zeit- und Platzaufwand für Überholmanöver auf zweispurigen Straßen etwa öffnet doch ein praktisches Fenster in eine Dimension, von deren Existenz der überwiegende Teil der anderen Fahrbahnbenutzer nie aus eigener Erfahrung berichten wird können.
Bedienkonzept mit Luft nach oben
Weniger Brillanz im täglichen Umgang legt das Wundertier aus Maranello jedoch in Kapiteln an den Tag, die vom Großteil der automobilen Massenware problemloser beherrscht werden. Die Grundsatzentscheidung der Ferrari-Leute, in ihren Autos die Einfallstür für Datentransfers (gewollter und ungewollter Art) geschlossen zu halten, kann mutig und nachahmenswert empfunden werden. Auch dass dies bedingt, Navigations-Dienste nur via Kopplung mit dem eigenen Smartphone nutzen zu können, muss nicht unbedingt ein Fehler sein.
Nur wie die Bedienung der Bordsysteme funktioniert, lässt viel Raum nach oben. Mit dem fummeligen Slider an der Lenkradspeiche, der am Beginn allen Informationsaustausches steht, lernt man zwar mit der Zeit recht und schlecht zu leben. Von intuitiv oder gar blind zu bedienen kann aber selbst nach längerer Nutzung keine Rede sein.
Apple und Google als Bremser
Und die Hoffnung, das Problem in Richtung Beifahrersitz auslagern zu können, zerbröselt an den Nutzungsbedingungen der amerikanischen Tech-Giganten. An sich wäre ja dafür der zweite Bildschirm im Cockpit des Purosangue die ideale Lösung. Dort sind aber zur Erbauung der jeweils Beifahrenden nur Daten abrufbar, die im Auto selbst generiert werden. Das reicht von der Info über Drehzahl oder Art der Leistungsentfaltung über die Daten des Trip-Computers bis zu separaten Einstellmöglichkeiten von Klimaanlage, Sitzpolster oder Feinjustierungen des Burmester-Hifi-Systems.
Nur die Navigations-Karte kann dort weder dargestellt, noch deren Bedienung aktiviert werden. Was nicht an einer etwaigen Bosheit der Ferrari-Programmierer liegt. Vielmehr erlauben Apple und Google keine Spiegelung ihrer Navi-Apps auf dem Zusatzbildschirm. So ist diese nur auf dem Display vor dem Lenkrad sichtbar. Und kann somit auch nur vom Fahrenden selbst programmiert werden. Was nicht nur angesichts des suboptimalen Bediensystems im Purosangue keine gute Idee ist.
Was weiters aufgefallen ist im Tagesgeschäft mit dem Ferrari Purosangue:
- Der Einstieg in die zweite Reihe ist durch die gegenläufig angeschlagenen Türen ohne unwürdige Verrenkungen möglich. Und da die B-Säule in der Mitte nicht eliminiert wurde, wie bei anderen Lösungen mit solchen Flügeltüren, können die Fondpassagiere ihre Tür unabhängig von der jeweiligen Vordertür öffnen und schließen.
- Der Kofferraum hat brauchbare Dimensionen und ist durch die mittlere Durchreiche und die getrennt voneinander umlegbaren Rücksitzlehnen erfreulich flexibel.
- Die größte Bodenfreiheit, die je ein Serien-Ferrari zu bieten hatte, ermöglicht zwar theoretisch auch Fahrten auf moderaten Schlechtweg-Strecken. Wesentlich praxisnäher ist deren Nutzen jedoch bei der problemlosen Bewältigung von Fahrbahn-Schwellen und steilen Garagen-Abfahrten.
Antrieb: V12-Zylinder-Motor mit 6,5-l-Hubraum, maximale Leistung 725 PS, maximales Drehmoment 716 Nm bei 6.250 U/min, maximale Drehzahl 8.250 U/min. 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradantrieb, Allradlenkung.
Fahrleistungen: Beschleunigung von 0 auf 100 km/h 3,3 Sek., 0 auf 200 km/h in 10,6 Sek., Höchstgeschwindigkeit 310 km/h. Bremsweg von 100 auf 0 km/h 32,8 m, von 200 auf 0 km/h 129 m.
Abmessungen: Länge x Breite x Höhe 4973 x 2028 x 1589 mm, Radstand 3018 mm, Bodenfreiheit 158 mm, Leergewicht 2.033 kg, Gewichtsverteilung 49 % vorne / 51 % hinten. Tankvolumen 100 Liter, Kofferraumvolumen 473 l.
Verbrauch: Normverbrauch nach WLTP 17,1 l / 100 km, 389 g/km C02.
Kosten: Grundpreis Ferrari Purosangue in Österreich 587.745,38 €.