Motor

Porsche: 30 Jahre mit allen Vieren

Begonnen hat alles in Österreich. Genauer gesagt, auf der Turrach. Dort, wo auch die Wiege des Quattro von Audi stand und selbst Mazda die Prototypen des ersten Allrad-Modells der Marke durch den verschneiten Wald scheuchte.

Man schrieb das Jahr 1982 und der legendäre Porsche-Entwicklungschef Helmuth Bott hatte den gerade amtierenden Rallye-Gott Walter Röhrl für ein Privatissimum ins steirisch-kärntnerische Grenzgebiet gebeten, um seine Eindrücke von dem System einzuholen, das sechs Jahre später im ersten Serien-911er mit Allradantrieb verbaut werden sollte.

 

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Zunächst wurden Allrad-Porsche zwar nur als Rennwagen bei der Rallye ParisDakar eingesetzt (1984 noch mit zuschaltbarem, 1986 im legendären 959 mit elektronisch gesteuertem, variablem Allradantrieb), aber 1988 debütierte mit dem 911 Carrera 4 des Typs 964 das erste Serienmodell mit vier angetriebenen Rädern. Die Kraft wurde über ein Planetengetriebe als Mittendifferenzial verteilt. Ergänzt wurde das System durch Lamellensperren (Längssperre zwischen Vorder- und Hinterachse und geregelte Quersperre hinten).

So groß der Traktionsgewinn gegenüber den bisher nur heckgetriebenen 911ern auch war, handelte sich der erste Carrera 4 schnell den Ruf ein, in schnellen Kurven gnadenlos geradeaus zu schieben, weil die Längssperre stur ihren Dienst verrichtete. Was die Ingenieure in Weissach natürlich nicht ruhen ließ und zur Entwicklung der nächsten Allrad-Generation als Hang-on-Allrad mit Viscokupplung führte. Diese zog Kraft von der angetriebenen Hinterachse erst ab, wenn das System Drehzahlunterschiede zur Vorderachse erkannte und machte den Carrera 4 des Typs 993 ab 1994 wesentlich agiler und leichter beherrschbar.

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Testfahrer fliegen ab

Wie sich das in der Praxis auswirkte, illustriert eine Anekdote aus dem reichen Erfahrungsschatz von Meister Röhrl. Diesmal wurde er von Porsche zu Testfahrten in den Hohen Norden gebeten, um das alte mit dem neuen System zu vergleichen. Ergebnis mit dem Planetengetriebe: Auf dem rund 1,20 Minuten langen Handlingkurs auf einem zugefrorenen See war er um rund 8 Sekunden schneller als die Testfahrer des Werks. Von denen sich zusätzlich einer nach dem anderen auf der Jagd nach Röhrls Zeit unfreiwillig von der eisigen Strecke verabschiedete.

 

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Röhrl mit Augenzwinkern zum Motor-KURIER: „Die haben nicht gewusst, dass man die Längssperre mit Linksbremsen vor der Kurve aufheben konnte und sind dann geradeaus abgeflogen.“

Mit dem 993 mit Viscokupplung lag der Vorsprung Röhrls nur mehr bei 2 Sekunden und keiner der Testfahrer schlitterte mehr aus der Kurve. Röhrl schmunzelnd: „Für uns als Profis war das alte System besser, weil es viel schwieriger beherrschbar war.“ Für Generationen von normalen Porsche-Fahrern war die Weiterentwicklung jedoch ein Segen.

 

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Mit der Präsentation des ersten Cayenne 2002 hielt schließlich das PTM (Porsche Traction Management) genannte neue System Einzug. Dieses setzte wieder auf permanenten Allradantrieb, allerdings im Grundmodus im Verhältnis 62:38 zwischen Hinter- und Vorderachse und mit einer situationsbedingten variablen Verteilung, die durch eine elektromotorisch betätigte und elektronisch gesteuerte Lamellenkupplung als Längssperre gemanagt wurde.

Bei der späteren Übertragung dieses Grundkonzeptes auf die 911-Baureihe (ab 2006 beginnend mit dem 997 Turbo) wurde dieses auf die Gegebenheiten eines Sportwagens angepasst und eine elektromagnetisch betätigte Lamellenkupplung eingeführt.

 

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Heute gehen dem aktuellen, seit 2013 im Einsatz stehenden PTM (nun mit elektrohydraulischer Lamellenkupplung) zusätzlich allerlei elektronische Assistenzsysteme zur Hand.

Was nichts daran ändert, dass Meister Röhrl notfalls immer noch schneller ist als unsereins. Vor allem, wenn die Hilfs-Systeme alle abgeschaltet sind.