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Verkehrsexperte: Das Auto als "Virus" - brauchen wir Sanktionen?

Was ist passiert, dass aus einer Welt für die Menschen, um die sie sich über die Jahrhunderte bemüht haben, innerhalb nur eines Jahrhunderts eine Welt für das Auto und den Autoverkehr wurde – und das offensichtlich mit Zustimmung der Allgemeinheit? Das fragt sich der österreichische Verkehrsexperte und Club of Rome Mitglied Hermann Knoflacher, Jahrgang 1940,  und beschreibt in der heute erscheinenden vollständig überarbeiteteten Neuausgabe von  »Virus Auto« die - aus seiner Sicht - Fehlentwicklungen unserer "vom Virus Auto befallenen Gesellschaft".
 
KURIER: Virus Auto 4.0 - so der Titel Ihres neuen Buches. Warum haben Sie - gerade nach den Corona-Jahren - das Wort "Virus" gewählt?
Hermann Knoflacher: Der Titel „Virus Auto“ beschreibt die Wirkungen des Autos auf die Menschen und ihre Gesellschaft und stammt aus 2009, also ein Jahrzehnt vor Corona.. Der Alexander Verlag wollte eine aktualisierte Bearbeitung herausbringen und die hat den genannten Titel erhalten.

Fahren Sie selbst (noch) Auto? Wenn ja, wann und warum?
Wenn ich etwas transportieren muss, das sonst nicht möglich ist.

„Keine technische Innovation hat das Handel des Einzelnen und der Gesellschaft so grundlegend beeinflusst, wie das Auto“ - schreiben Sie in ihrem aktuellen Buch. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
 Genau das ist der Inhalt des Buches, wenn man es liest.

Was ist das größte Verkehrsproblem unserer Zeit? "Dummheit".

Hermann Knoflacher
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Ein besonderes Anliegen ist Ihnen das Verständnis für öffentlichen Raum: Wie sehr stellt die heutige Stadtplanung Ihrer Meinung nach die Bedürfnisse des Verkehrs über die der zu Fuß gehenden Menschen?
Ziemlich absolut, weil sie das erfüllt, was der §2 der Reichsgargenordnung 1939 gefordert hat.

„Es ist wirklich ein Wunderding, das Auto“, schreiben Sie: Gibt es also auch positive Dinge, die Sie über das Auto sagen können?
 Wenn es subjektiv aus der ältesten Schicht unseres Gehirns keine so positive Wirkung gäbe, die sich durch alle späteren Schichten durchgesetzt hat, würde es das „Wunder Auto“ nicht geben, bei dem aber unter anderem vor allem die Vernunft auf der Strecke bleibt.

Sie möchten gegen das „Virus Auto“ vorgehen- dazu fordern Sie „permanentes Monitoring“ und „wirksame Sanktionen“ - bei vielen werden diese Forderungen nach den Corona-Jahren sehr negative Assoziationen wecken. Wie stellen Sie sich das Monitoring und die Sanktionen konkret vor?
Da haben Sie sich in der Einschätzung geirrt, weil es weniger um das Auto geht, sondern was damit gemacht wird. Mein Forschungsfeld ist die Wirkung des und der Autos auf die Menschen, die Gesellschaft und deren Institutionen.

Hermann Knoflacher (*1940 in Villach) studierte Bauingenieurwesen, Mathematik und Geodäsie. Der emeritierte Professor und ehemalige Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien realisierte zahlreiche Verkehrskonzepte, u. a. in Wien, Graz und Hamburg. Er ist Mitglied des Club of Rome, Präsident des Club of Vienna und war globaler Fußgehervertreter bei den Vereinten Nationen in Wien.

Sie plädieren für das Fahrrad, auch aus sozialen Gründen. Sind Sie selbst mit dem Rad unterwegs?
In Wien seit 1959, auch wenn ich einige Jahrzehnte das Gefühl hatte, ziemlich allein so unterwegs zu sein. Heute bin ich in der Masse unauffälliger.

Wie stehen Sie E-Bikes gegenüber?
Es sind nach dem Kraftfahrgesetz (KFG) Kraftfahrzeuge und sollen auch so behandelt werden. Man darf sie aber nicht mit dem Auto verwechseln. 

Wie sieht es mit E-Autos aus?
 In den Wirkungen wie beim Virus Auto nur mit der Täuschung der Benutzer, dass sie glauben das mit gutem Gewissen zu tun.

In Sachen autonomes Fahren entwickelt sich derzeit viel: Zuletzt saß ich in einem autonom fahrenden E-Mobil, bei dem man sich wieder - wie einst in der Kutsche - gegenübersitzt. Wie könnte technologischen Erneuerungen und KI in Sachen autonomes Fahren Ihrer Meinung nach Verkehrswesen und Verkehrspolitik beeinflussen? Sehen Sie hier auch positive Entwicklungen?
Sicher sehe ich positiven Entwicklungen im Verkehrswesen und der Verkehrspolitik, weil man nachhaltige Formen der physischen Mobilität langsam in ihrer Bedeutung für die Zukunft erkennt.

Das Buch des österreichischen Verkehrsexperten Hermann Knoflacher analysiert und beschreibt die Fehlentwicklungen unserer vom »Virus Auto« befallenen Gesellschaft und zeigt auf, wie die autogerechte Planung zur Zerstörung sozialer, urbaner und ländlicher Strukturen geführt hat. Trotz der enormen Umweltschäden und hohen Unfallzahlen wachsen Jahr für Jahr die Autobahnlandschaften, steigen die Belastungen durch Abgase und Lärm, sodass sich die Frage stellt, warum der Mensch sein Verhalten nicht ändert.  Knoflacher, der sich seit mehr als 50 Jahren theoretisch und praktisch mit Stadt- und Verkehrsplanung beschäftigt, legt mit VIRUS AUTO 4.0 die aktualisierte Neuausgabe seines Buchs VIRUS AUTO von 2009 vor.

"Entgegen dem weitläufigen Begriff des ›weißen alten Mannes‹ ist Hermann Knoflacher ein weiser alter Mann, der trotz aller Gegenwehr mit unfassbar viel Charme, Kompetenz und Hingabe daran arbeitet, die öffentlichen Räume den Menschen zurückzugeben. Sein Durchhaltevermögen beeindruckt mich sehr. Ich habe alle seine Bücher gelesen und immer wieder gerne Interviews und Podcasts mit ihm gehört. Es könnte traurig sein, dass seine Werke noch so aktuell sind, aber ich sehe die Neuausgabe von »Virus Auto« als Chance, die Menschen wachzurütteln und das Richtige zu tun: Mobilitätswende jetzt – das Auto raus aus den Köpfen!« schreibt Verkehrswende-Aktivistin Katja Diehl auf der Verlagshomepage.