Sportwagen aus Leinen: Warum Alpine das alte Material neu entdeckt
Das ist in Sachen Dekarbonisierung wirklich einmal etwas Neues: Der französische Sportwagenhersteller Alpine verwendet für einige Teile des vollelektrischen Prototypen Alpine A110 E-ternité Leinen anstelle von Karbon. Das Flachs, der Rohstoff für das Material, wächst gleich neben dem Autowerk in der Normandie. Möglich machten den umwelttechnischen Clou M. Florent, Exterior Accessory Design Leader und M. David, Head of Upstream Workflows, zwei Entwickler aus dem Alp'Innov Center.
Die Alpine A110 E-ternité ermöglicht es der Renault Tochter, Innovationen zu testen, die künftig in den Modellen der Alpine Dream Garage zu finden sein werden. Das Modell ist wendig und dabei mit 1.378 Kilogramm leichter als jedes andere Elektromodell in seinem Segment. Und dies trotz der 392 Kilogramm schweren Batterien. Ein Grund dafür: Fronthaube, Dach, Heckabdeckung, Sitzschalen und Heckschürze bestehen aus Leinen.
Ein weiterer Vorteil: Das Material stammt aus biologischem Anbau und sein Herstellungsprozess ist weit weniger energieintensiv als der von Karbon – dem traditionellen Material der Wahl, um das Gewicht eines Sportwagens zu senken. Die geringe Dichte und damit das geringe Gewicht, die Widerstandsfähigkeit und die akustischen Eigenschaften sind weitere Punkte, die für Leinen sprechen.
Der umweltbewusste Ansatz, Leinen in einem Fahrzeug zu verwenden, ist eine echte Chance für uns. Das Material ist leichter und markiert sowohl technologisch als auch ökologisch ein Schritt nach vorn.
Flachs ist ein früher sehr häufig verwendeter Stoff, der heute etwas in Vergessenheit geraten ist. Im März und April erfolgt die Aussaat, zu Beginn des Sommers werden die Pflanzen geerntet. Auf den Feldern in Reihen angeordnet, verrotten die Pflanzen – ein natürlicher Prozess, der die Flachsfasern von den Holzstängeln löst. Anschließend werden die langen Fasern gekämmt, geglättet, zu Garn gestreckt und zu 45 Kilogramm schweren Ballen gebündelt. In der Spinnerei wird das Material zu Stoff gewoben und anschließend an Alpine geliefert.
Doch wie wird daraus eine Motorhaube, eine Sitzschale oder ein Dach? Das Alpine Labor in Les Ulis, südwestlich von Paris, kombiniert das getrocknete Gewebe mit Baumwollgarn und webt daraus ein biaxiales 45-Grad Muster. Der zu 95 Prozent aus Leinen und zu fünf Prozent aus Baumwolle bestehende Stoff wird anschließend in Epoxidharz getränkt und anschließend in Form gelegt.
Dabei achten die Mitarbeiter auf die Ausrichtung des Gewebes sowie die Anzahl der Falten und bringen die äußere, sichtbare Oberfläche mit der Form in Kontakt. Im nächsten Schritt wird das Teil abgedeckt und vakuumbehandelt. Danach wird das Musterteil aus der Form genommen, von Hand zugeschnitten und montiert.
Ähnlich wie der Leinenrumpf-Katamaran des Segelprofis Roland Jourdain sind die Autos von Alpine auf Leistung ausgelegt. Terre de Lin liefert das Rohmaterial für beide Hersteller. „Mit der Zeit wollen wir auch das Epoxidharz austauschen, um die Bauteile komplett zu dekarbonisieren“, sagt Florent. Er und David sind auf der Suche nach Harzen aus biologischem Anbau, die ihren Anforderungen entsprechen.
Die Karbon-Fronthaube einer Alpine A110 R wiegt 3,98 Kilogramm, die serienmäßige A110 Aluminium-Motorhaube 6,9 Kilogramm. Ein aus Leinen gefertigtes Teil wiegt aktuell jedoch noch 20 Prozent mehr als ein Karbonelement. Mit ihrem Wissen über Verbundwerkstoffe wollen die beiden Entwickler jedoch mehr Funktionen integrieren und die Anzahl der Teile reduzieren. Sogar die Entwicklung von Leinenformen für die gesamte Fertigung ziehen sie ernsthaft in Betracht.