Land Rover Defender: Neu auch für diesseits von Afrika - aber nicht nur
Von Horst Bauer
Die Ausgangslage für die Land-Rover-Führung war einigermaßen kompliziert. Für die seit 1948 im Kern unverändert gebaute Geländewagen-Ikone Defender (die diesen Modellnamen erst seit 1990 trägt) nach deren unwiderruflichem Ende im Jahr 2016 einen zeitgemäßen Nachfolger zu entwickeln, glich der Quadratur des Kreises.
Schließlich sollte der Neue nicht nur die Geschichte des aus der Zeit gefallenen Vorgängers fortschreiben, der als robustes Arbeitstier für Feuerwehr und Bergrettung gleichermaßen geschätzt wurde wie als unverwüstlicher Expeditions-Teilnehmer. Zuletzt war aber auch eine neue, betuchte Klientel dazugekommen, die den Defender als Freizeit-und Spaß- Auto entdeckt hatte und bereit war, für das Abenteuer-Flair viel Geld auszugeben.
Der neue Defender soll nun also beide Seiten bedienen. Was nach dessen Vorstellung im vergangenen Herbst vor allem bei der historisch angestammten Klientel angesichts eines Allrad-Sytems mit vielen elektronischen Helfern und einem weitgehend digitalisierten Cockpit eher Stirnrunzeln ausgelöst hat. Kein Wunder also, dass Land Rover eine handverlesene Gruppe internationaler Fach-Journalisten Ende Februar und somit noch vor der Corona-Krise, zu einem Härte-Test in angestammter Umgebung gebeten hat.
Rund 800 Kilometer in drei Tagen durch den weitgehend von Straßen und Ansiedlungen verschonten Nordwesten Namibias sollten zeigen, dass auch der Neue dort bestehen kann, wo sich der Vorgänger seinen Ruf erarbeitet hat. Wie er sich im Alltagseinsatz auf der Straße hält, wird ein späterer Test auf heimischem Geläuf zeigen.
Eingesetzt wurde die Langversion Defender 110, motorisiert mit dem hauseigenen 240-PS-Diesel bzw. dem 6-Zylinder Mild-Hybrid-Benziner mit 400 PS. Beide Varianten waren ausgestattet mit dem via Aufpreisliste bestellbaren Expeditions-Package mit Dachgalerie samt Klappleiter und hochliegendem Ansaugstutzen vulgo Schnorchel.
Von den 800 km führten gezählte 6 über asphaltierten Untergrund, der Rest verteilte sich auf Schotterpisten, felsige Kletter-Abschnitte (wie etwa den Van-Zyls-Pass, der Expeditionsteilnehmer dazu bringt, sich nach dessen geglückter Bezwingung auf Steinen neben dem Pfad mit Namen zu verewigen), Sandpisten unterhalb der Dünen der Skelett-Küste und einer tückischen Mischung aus Sand und tiefem Schlamm entlang von meist ausgetrockneten Flussläufen (denen aber der in den Wochen davor erstmals seit Jahren wieder gefallene stark Regen ihre Bestimmung zurückgegeben hatte).
In der zusammenfassenden Beurteilung der Fähigkeiten des neuen Defender wechselt viel Licht mit ein paar Schattenseiten.
Am hellsten strahlt dabei das weiter entwickelte adaptive Allrad-System in Verbindung mit der äußerst nützlichen Luftfederung. Sogar Geländewagenfahrer, die ihr Handwerk noch mit selbst verantworteter Zuschaltung der Vorderachse und dem strikten Verbot, in schwerem Gelände bei steilen Bergab-Passagen die Bremse zu betätigen gelernt haben, werden sich bald den elektronischen Besserwissern ergeben.
Dekadenz im Steilhang
Am einfachsten ist es, den Auto-Modus im adaptiven Allradsystem anzuwählen, und den Rest der Technik zu überlassen. Diese erkennt zuverlässig den jeweiligen Untergrund und stellt die Fahrhelfer (und auch die Fahrzeughöhe) selbstständig darauf ein. Das reicht in der Praxis für mehr als 80% der Einsatz-Szenarien. Erst wenn die Geländeuntersetzung gefordert ist, muss aktiv die nächste Taste gedrückt werden.
Für Gelände-Feinspitze lässt sich die Abstimmung von Lenkung, Gaspedal-Kennung etc. des adaptiven Allradsystems hier erstmals bei Land Rover in einem eigenen Speicherpunkt individuell zusammenstellen.
Überdies kann das System nicht nur bergab eine voreingestellte Geschwindigkeit selbsttätig halten (wozu ja auch die weichgespülte SUV-Fraktion auf weniger forderndem Untergrund zunehmend fähig ist). Das funktioniert im Defender jetzt auch bergauf blendend.
Wer so eine Art adaptiven Gelände-Tempomat für ein Zeichen von Dekadenz im Steilhang hält, mag damit richtig liegen. Nach ein paar Schnupperversuchen läuft aber selbst der knorrigste Auto-Kraxler hinter dem Lenkrad Gefahr, sich dieser Bequemlichkeit hinzugeben.
Wobei Bequemlichkeit überhaupt einer der zentralen Punkte ist, die den neuen vom alten Defender wesentlich unterscheiden. Wer schon einmal im überschaubar gefederten alten Landy über rumplige Sand- oder Schotterpisten geprügelt wurde, wird dank der superben Luftfederung im neuen Defender zu Beginn Gefahr laufen, den gefühlten Kontakt zum Untergrund zu verlieren. So bandscheibenschonend filtert das Fahrwerk auch im gestreckten Galopp Unebenheiten weg und bügelt Querrillen wie etwa die Piste querende ausgetrocknete Wasserläufe aus.
Apropos Wasser: Sollte doch einmal mehr zusammenkommen und keine Brücke weit und breit sein, darf der Boden bis zu 900 mm von der Wasseroberfläche entfernt sein. Wie tief die Furt tatsächlich ist, lässt sich übrigens am zentralen Bildschirm des Armaturenträgers auf Wunsch ablesen.
Womit wir bei den visuellen Helfern der Fahrzeugelektronik wären. Neben der Wassertiefe (allerdings erst nach dem Eintauchen) kann sich der Defender-Pilot auch via Kamera zeigen lassen, wie das Gelände unmittelbar vor der Motorhaube aussieht, sollte dieses etwa auf einer Kuppe sonst nicht einsehbar sein. Gleiches gilt für den Blick darauf, wie weit etwa das rechte Vorderrad tatsächlich vom Abgrund entfernt ist. Und via einer auf dem Dach montierten Kamera lässt sich das Geschehen hinter dem Auto auf dem Rückspiegel einblenden, sollte das Expeditionsgepäck den Blick durch diesen verstellen.
Intuitive Bedienung sieht anders aus
Eher als Schattenseite haben sich in der praktischen Anwendung Teile der Bedienlogistik im Cockpit erwiesen. So gibt es zwar neben den auspreispflichtigen Monitor für die digitale Darstellung von Tacho, Drehzahlmesser & Co. auch eine Mischung aus analogen Rundinstrumenten und dazwischenliegendem digitalen Display. Aber am zentralen Bildschirm für die Bedienung der meisten Funktionen führt im neuen Defender kein Weg vorbei. Im Bemühen, die Touchscreen-Flut nicht so ausufern zu lassen, wie etwa im Range Rover Velar, hat man die - scheinbar nur die Temperatur-Regelung übernehmenden - zentralen Drehräder mit mehreren Funktionen belegt. Welche gerade anliegt, muss der Pilot per Tastendruck darunter und daneben vorwählen.
Das mag gut funktionieren, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Intuitive Bedienung sieht aber anders aus.
Dass dies auch für die Vorwahl der jeweiligen Gelände-Programme gilt, deren Symbole ebenfalls erst auf Tastendruck am Bildschirm erscheinen und dann angesichts der gebotenen Fülle viel zu kurz stehenbleiben, um sich das gewünschte aussuchen zu können, gereicht dem System ebenfalls nicht zur Ehre. Ganz abgesehen davon, dass die Information über das jeweilige gewählte Allrad-Programm im zentralen Display vor dem Fahrer viel zu klein angezeigt wird.
Aber das könnte nach der vielfachen Kritik daran am Ende des Expeditions-Tests für die Kundenfahrzeuge noch nachgebessert werden. Schließlich geht’s dabei nur um eine Neuprogrammierung der Darstellungs-Software. Und die kann im neuen Defender jetzt sogar via Mobilfunk direkt ins Auto eingespielt werden.
Notfalls auch via Satelliten-Telefon irgendwo im Busch.