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Erstmals gefahren: Am Steuer des Ferrari Purosangue

Um der größten Aufregungsblase gleich zu Beginn die Luft abzulassen: Der Purosangue (italienisch für Vollblut) ist zwar der erste Ferrari mit vier Türen und auch der erste mit einer nennenswerten Bodenfreiheit – aber er ist deswegen noch lange kein SUV. Und er fährt sich auch nicht so.

Aber dazu später mehr.

Kontroversielle Themen finden sich zu dem Projekt Purosangue auch so noch genug.

So etwa die den Ferraristi dieser Welt das Herz erwärmende, bei der Elektro-Fraktion jedoch hochfrequentes Kopfschütteln generierende Tatsache, dass man in Maranello just zu dem Zeitpunkt einen weiterentwickelten Zwölfzylinder-Saugmotor präsentiert (und das noch dazu ohne einen Hauch von Hybridisierung), da unter anderem die Nachbarn von Lamborghini ihren Zwölfender gerade mit einer Abschieds-Edition des Aventador feierlich für immer zu Grabe tragen.

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Oder, dass Ferrari bei der gerade boomenden Datenschürferei und digitalen Upgrade-Kultur via Internetanbindung bewusst nicht mitmacht. Außer dem gesetzlich vorgeschriebenen E-Call Telefon-Chip gibt es beim Purosangue keine mobile Datenverbindung mit der Außenwelt. Man wolle das Risiko nicht eingehen, dass die Autos der Kunden gehackt werden können, lautet die pragmatische Begründung. Für diese digitale Abschottung des Bordsystems nimmt man in Kauf, dass etwa die Navigation nur via Smartphone-Spiegelung aktiviert werden kann.

Was theoretisch problemlos funktioniert, wie die Basis-Dacias dieser Welt beweisen. In der praktischen Anwendung im Purosangue-Cockpit bleibt dabei aber Luft nach oben. Auch dazu später mehr.

Und letztlich mag es für alteingesessene Fans der Marke auch ein Zeichen der Dekadenz sein, dass sich ein Gutteil der offiziellen Kommunikation zum Purosangue um die High-End-Audioanlage von Burmester dreht. Hat die von der Kundschaft erwartete Beschallung eines Ferrari-Cockpits bisher doch ausschließlich im Motorraum ihren Ausgang genommen.

Neue Kundschaft

Aber die neuen Zeiten bringen neue Kundschaft mit neuen Ansprüchen. Und dass der erste vollwertige Viersitzer aus Maranello, dessen Türen übrigens gegenläufig angeschlagen sind, diese erfüllen wird können, zeigt der Umstand, dass der Purosangue für die kommenden eineinhalb Jahre praktisch ausverkauft ist.

Was dessen künftige Eigner zu erwarten haben, wenn sie erst einmal selbst am Steuer ihres Schmuckstücks sitzen werden, konnten wir in einer ausführlichen Tagestour in den Südtiroler Dolomiten bereits erkunden.

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Das Wichtigste zuerst: Im Fahrbetrieb zeigt sich der Viertürer trotz seiner rund zwei Tonnen Lebendgewicht als äußerst souveräner Hochleistungs-Sportwagen. Wenn man es darauf anlegt, bleibt kein Auge trocken im Cockpit und die Magennerven der vierköpfigen Besatzung werden einem Härtetest unterzogen. Die unbändige Kraft des Zwölfzylinders (750 PS, 716 Nm) wird von einem bei Bedarf (im Sport- bzw. Race-Modus) äußerst flinken 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe portioniert. Die beeindruckendste Leistung liefert aber das neu entwickelte, aufwändige Fahrwerk des Purosangue. Erstmals implementiert ist hier ein aktives Federungssystem. Dessen elektrisch gesteuerte Aktuatoren halten die Wankbewegungen der Karosserie in schnellen Kurven minimal. Und bei unebenem Geläuf sorgen sie dafür, dass die Aufstandsfläche der Reifen möglichst konstant bleibt.

 

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Gnadenloser Vortrieb

Im Zusammenspiel mit den souveränen Karbon-Bremsen, der präzisen – wie bei Ferrari aktuell immer etwas leichtgängigen – Lenkung, die auch die Räder der Hinterachse miteinbezieht, und dem Allradantrieb, lässt sich der knapp fünf Meter lange und zwei Meter breite Viertürer wie ein Super-Sportwagen um Kurven aller Radien scheuchen. Trotz einer Bodenfreiheit von zumindest 158 mm fährt der Purosangue auf kurvigem Geläuf gefühlt Kreise um alle Konkurrenten, denen das vom Marketing bestimmte Schicksal eine ausgewachsene SUV-Karosserie beschert hat. Und das hin bis zur Gnadenlosigkeit, wenn der wie gehabt bei Ferrari auf dem Lenkrad platzierte Fahrprogramm-Schalter auf „Sport“ oder „Race“ steht und sich die versammelte Technik hinter dem Ziel „purer Vortrieb“ versammelt.

Video: Fahreindrücke im Schnee

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Dabei kann der erste Ferrari der Geschichte mit vier vollwertigen Sitzen auch ganz anders. Bleibt man im Comfort-Modus und nützt das enorme Drehmoment des 6,5-Liter Zwölfzylinders zum entspannten Dahinschlendern, wird der Purosangue zum ruhigen Langstreckenmobil, mit dem es sich sogar ressourcenschonend segeln lässt. Das sind dann die Momente, in denen der Front-Mittelmotor selbst bei Autobahntempo akustisch in den Hintergrund tritt und die Beschallung des Passagierraums von der High-End-Audioanlage von Burmester adäquat übernommen werden kann.

 

Fummelige Bedienung

Allerdings bleibt in solchen Fahrsituationen auch mehr Zeit, sich über die fummelige Bedieneinheit für allerlei Befehle an die guten Geister an Bord zu ärgern. Der gut gemeinte Slider auf der Lenkradspeiche will mit viel Fingerspitzengefühl bedient werden. Mehr jedenfalls, als es der Konzentration des Piloten auf seine wesentliche Aufgabe guttut.

Koppelt man zudem sein Smartphone, um sich etwa die Navigations-Karte anzeigen zu lassen, übernimmt die jeweilige Plattform (Android Auto bzw. Apple CarPlay) den Großteil des Displays vor dem Lenkrad. Um die Fahrdaten (Drehzahlmesser, Tacho etc.) wieder in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, muss durch Antippen des zentralen Knopfes in der Bedienungseinheit auf der Lenkradspeiche zunächst das Touchpad aktiviert und die dann aufleuchtende „View“-Taste gedrückt werden.

Abhilfe schaffen kann hier wohl nur die Mitnahme eines Beifahrers. Der hat im Purosangue einen ausgewachsenen Bildschirm vor sich im Armaturenträger, über den alle Einstellungen via Touchscreen-Funktion vorgenommen werden können.

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Oder man entscheidet sich einfach dafür, den ganzen Firlefanz beiseite zu lassen und sich auf die Kernkompetenzen jedes Ferrari zu konzentrieren. Und dafür reicht die Bedienung des Lenkrads und der beiden Pedale im Fußraum.

Fazit: Mit dem Purosangue bekommt man einen für Ferrari-Verhältnisse geräumigen Viersitzer, der die eine oder andere Schlechtwegstrecke ebenso meistert wie den Winterdienst und dennoch den topsportlichen Werten des Hauses verpflichtet bleibt. Sowohl optisch als auch in der Anwendung.

Einschränkung: Um auf einem Ferrari Purosangue eine österreichische Nummerntafel anbringen zu dürfen, sollte man zumindest 587.745,38 € Spielkapital zur Verfügung haben.

Der Listenpreis ohne Steuern liegt bei 321.621 € (inkl. Überführungskosten).
Dazu kommen bei uns 20 % Mehrwertsteuer, die NoVA von 58 % und die CO2-Strafsteuer (70 Euro je Gramm CO2 über 170 g/km) von 15.610 € minus dem Abzugsposten von 350 €.

Ergibt den Gesamtpreis in Österreich von 587.745,38 €.
Zum Vergleich: In Deutschland startet der Purosangue bei einem Basispreis samt Steuern von 380.000 €.