Ex-VW-Boss Herbert Diess: „Die Chinesen werden überschätzt"
Die Pullmannkappe ist sein Markenzeichen. „Ich kauf die am Flughafen in Bilbao. In Spanien tragen sie aber nur die Touristen – und ich. Sie wissen schon, wegen der Haarpracht“, scherzt Herbert Diess. Der ehemals mächtige Autoboss ist privat geworden. Und redet locker über seine neuen Projekte nach Volkswagen, sein Leben abseits des Konzerns und die chinesischen Elektroautos.
KURIER: Herr Diess, im Sommer 2022 mussten Sie als VW-Vorstandsvorsitzender abtreten. Was tun Sie jetzt?
Herbert Diess: Mein Leben ist nicht viel anders als früher. Ich stehe früh auf und dann gibt es viele Termine. Ich habe große Kinder, wenn ich Glück habe, nehmen sie mich in der Früh zum Bouldern mit.
Klingt nach einer neuen Entspanntheit.
Ich mache eher mehr als früher, und es ist vielfältiger und breiter. Definitiv mache ich aber mehr Dinge, die mir Spaß machen. Früher ist viel Zeit für Sitzungen und Bürokratie verloren gegangen, jetzt nütze ich meine Tage besser.
Sie haben gerade Ihr Boutique-Hotel in Spanien runderneuert, haben 1.000 Birnenbäume und 20 Angus-Rinder. Wie kam das alles?
Das Hotel habe ich seit zehn Jahren, die Renovierung war gewagt, weil wir alles bis auf die Grundmauern neu gemacht haben. Ich trau mich gar nicht sagen, wie viel ich da investiert habe. Vergangene Woche haben wir hier meinen Geburtstag gefeiert.
Mit 65 gehen anderen in den Ruhestand.
Ach, heute erwartet man doch auch von einem 65-Jährigen, dass er noch was vorhat im Leben.
Sind Sie jetzt Landwirt?
Könnte man sagen. Die Landwirtschaft ist circa so groß wie die oberösterreichische Landwirtschaft meiner Großeltern. Meine Rinder leben aber ganz frei auf 20 Hektar Grund, drumrum die Birnenbäume.
Aus der Williamsbirne machen Sie Schnaps.
Ja. Die Birnenernte geht nach Oberösterreich, zum Reisetbauer. Daraus werden 1.700 Flaschen Rote Williams.
Sind Sie ein Aussteiger, ein Umsteiger?
Ich bin ein Einsteiger! Aber ich mache schon auch noch viel Technik. Ich bin bei Infineon ein sehr aktiver Aufsichtsrat. Und mache Beratungen im Energie- und Automobilbereich.
Sie haben Fahrzeugtechnik studiert, waren fast Ihr gesamtes Berufsleben bei Autokonzernen. Vermissen Sie die Autobranche?
Ich bin ja nicht weg. Da gibt es Leute, die an meinem Rat sehr interessiert sind. Und ich habe im letzten halben Jahr auch sehr viel Solartechnik gemacht. Wir wollen die Solartechnik zurück nach Europa bringen – da hat China die Marktmacht. So wie auch bei Elektroautos.
Wie sehen Sie das Match China – Europa bei den E-Autos?
Die Chinesen werden überschätzt. Da ist viel Halbgegorenes dabei, die haben auch viele Probleme. Es gibt ein paar gute chinesische Marken, manche kommen erst nach Europa, etwa Li Auto, die haben einen Hybriden mit 200 km Reichweite und kleinem Verbrennermotor. Auch Huawei wird kommen und BYD muss man ernst nehmen. Aber von den anderen 100 sind 80 nicht ernst zu nehmen. Die Europäer werden in der öffentlichen Meinung zu kritisch angefasst. Es gibt keinen Grund, warum die Deutschen Autokonzerne diesen Wettbewerb nicht standhalten könnten.
Sie haben nun, ein Jahr nach dem Ausstieg, eine gewisse Distanz. Wie lautet Ihre Bilanz?
Ich bin mit meinem Ausstieg sehr im Reinen. Ich war sieben Jahre in Wolfsburg, eine lange Zeit. VW ist ein sehr komplexes Unternehmen mit einer unglaublich komplexen Eigentümerstruktur. Und sehr politisch. Ich möchte die Zeit dort nicht missen, aber ich hätte dort ehrlicherweise auch nicht mehr viel erreichen können. Mein Nachfolger Oliver Blume hat jetzt alle Chancen.
Gab es Fehler?
Die gab es sicher. Ich habe viel zugemutet, viel gefordert. Aber das ist im Paket Diess drin und sie wussten vorher, dass ich so bin. Die größte Herausforderung im VW-Konzern sind die enormen Zentrifugalkräfte – Porsche gegen Audi, VW gegen Skoda, Skandia verus MAN – das zu bändigen, ist eine Riesenaufgabe. Auch nicht vergessen darf man, dass 14 Tage nach meinem Antritt der Dieselskandal da war. Ich habe die ersten zwei Jahre nur mit Anwälten gesprochen und damit sicher 50 Prozent meiner Zeit verbracht.
Welches Auto fahren Sie? Oder besser, welche Autos?
Da gibt es ein paar. Den VW Golf, jetzt krieg ich den neuen ID.3. Aber auch Fremdfabrikate sind dabei. Und was Sportliches.
Kriegen Sie bei VW immer noch Mitarbeiterkonditionen?
Ja, die krieg ich aber auch bei BMW.
Herbert Diess im Konzern
Der Österreicher Herbert Diess (geboren 1958) war von April 2018 bis August 2022 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und damit Chef über 675.000 Mitarbeiter und rund 280 Milliarden Euro Umsatz. Sein Letztgehalt bei VW: 11,6 Mio. Euro. Die beruflichen Stationen des studierten Fahrzeugtechnikers waren Bosch, BMW und VW
Herbert Diess heute
Diess ist Aufsichtsratvorsitzender von Infineon, Eigentümer eines Hotels in Spanien, Landwirt mit 20 Angus-Rindern und 1.000 Birnenbäumen und Berater von Energie- und Autofirmen