Autosalon Genf und der verlängerte Abschied vom Verbrenner
Von Horst Bauer
Auch wenn der stärkste Auftritt von einem europäischen Hersteller und gleich zwei seiner neuen Elektroautos geliefert wird. Der zweite Blick auf das Geschehen des im Vergleich zu früheren Zeiten stark geschrumpften Genfer Autosalons zeigt eher unerwartete Entwicklungen.
Dass sich Luca de Meo als einziger Boss eines großen europäischen Autoherstellers für einen Auftritt seiner Marken Renault und Dacia in Genf entschieden hatte, sicherte den Franzosen zumindest die volle mediale Aufmerksamkeit zum Start des Salons.
Dies nicht zuletzt auch wegen des für sie glücklichen Umstands, dass neben der Weltpremiere des elektrischen Renault R5 und des neuen Dacia Duster auch noch ein anderes Modell des Hauses für Schlagzeilen sorgte. Mit dem am Montag in der Früh verkündeten Sieg des Renault Scenic E-Tech Electric bei der Wahl zum „Auto des Jahres 2024“ dominierte Renault die Berichterstattung aus Genf auch über die Fachmedien hinaus.
Abgesehen davon zeigt sich auf dem noch bis Sonntag für das Publikum geöffneten Salon aber auch ein Trend, der bis vor kurzem noch nicht für möglich gehalten wurde: Dass chinesische Hersteller in ihren Bemühungen zur Eroberung des europäischen Marktes von der puren Ausrichtung auf Elektroautos abrücken.
Sowohl BYD als auch MG hatten sich in der Kommunikation zu ihrem Start in Europa als reine E-Auto-Marken positioniert. Den Schwung nutzend, der durch die politischen Vorgaben in der EU zum zeitlich fix terminisierten Ende des Verbrennungsmotors in der Öffentlichkeit entstanden war, hatte man versucht, sich als die elektrische Alternative zu den auf diesem Gebiet zunächst noch schwächelnden europäischen Herstellern zu präsentieren.
Nun, da sich auf dem Markt zeigt, dass der Großteil der europäischen Autokäufer nicht gewillt bzw. in der Lage ist, den Vorgaben der EU-Politik zu folgen und der Absatz von reinen E-Autos hinter den Erwartungen zurückbleibt, adaptieren die Chinesen ihre Eroberungsstrategie.
Womit der zunächst scheinbar verpönte – in China selbst aber weiter stark verkaufte - Verbrennungsmotor auch im Produktportfolio der chinesischen Marken für Europa auftaucht. Was in Genf nicht nur daran zu sehen war, dass MG als Weltpremiere mit dem kompakten MG 3 ein Modell ins Rampenlicht schob, von dem es keine rein elektrische Version gibt. Die europäische Kundschaft hat vielmehr die Wahl zwischen einem Hybrid (Benzin-Elektro) und einem klassischen Benziner als Antriebsvariante.
Weniger plakativ, aber im Effekt ebenso deutlich, zeigte BYD in Genf, wo es in Hinkunft lang gehen soll.
Die Chinesen, die nicht nur die Batterien selbst entwickeln und produzieren, sondern auf dem Heimmarkt auch die Kategorie der Plug-in-Hybride dominieren, weiten ihr Angebot in Europa in Hinkunft auch in diese Richtung aus. Die Abkehr von der Positionierung als reiner Elektroautoanbieter markiert unter anderem die in Genf verkündete Entscheidung, das kurz zuvor der europäischen Fachpresse als E-Auto präsentierte SUV namens BYD Seal U auch mit Plug-in-Hybrid-Antrieb verkaufen zu wollen.
Und auch der auf dem Genfer Stand von BYD ganz hinten in der Ecke positionierte Kleinbus aus dem Joint-Venture mit Daimler steht vor dem Marktstart hierzulande.
Der unter der Marke Denza vertriebene Luxus-Van D9 ist zwar in China auch mit reinem E-Antrieb und einer massiven 100-kWh-Batterie zu haben. Unter den aktuellen Vorzeichen ist aber nicht davon auszugehen, dass BYD keine der auf dem Heimmarkt angebotenen drei Plug-in-Hybrid-Varianten nach Europa bringt.
Zeigt also China auf dem Genfer Salon Absetzbewegungen von der reinen E-Auto-Lehre, präsentiert sich mit der US-Marke Lucid ausgerechnet ein Hersteller aus dem Land der klassischen V8 als derzeit heißeste Aktie im Segment der Luxus-BEV (Battery Electric Vehicle). Die von britischen und deutschen Technikern beflügelte Marke, die ihren Elektromotor selbst entwickelt hat, zelebrierte in Genf die Europa-Premiere ihres Elektro-SUV namens Gravity.
Und durfte für ihr erstes Modell, den als Limousine und Kombi angebotenen Lucid Air, eine ganz besondere Trophäe in Empfang nehmen. Grund für die Auszeichnung: Bei den Testfahrten der Car-of-the-Year-Jury im vergangenen Herbst in Dänemark absolvierte ein Lucid Air Touring den berühmten Elchtest mit der höchsten bisher je gemessenen Geschwindigkeit von 83 km/h.
Dafür gab es für Lucid-CEO Peter Rawlinson aus den Händen des Elchtest-Piloten der Jury, Jan-Erik Berggren, einen kleinen Kuschel-Elch aus Stoff.