Wo ist der Gestaltungswille im "roten" Wien geblieben?
Von Martina Salomon
Bitte, liebes Rathaus, lasst eure Arbeiterbezirke nicht verkommen.
über Stadtplanung
Vor drei Jahren stellte ein Rechnungshofbericht fest, dass Favoriten der "heißeste Ort Österreichs" ist mit den meisten Anzeigen pro (vor Ort im Dienst befindlichen) Polizisten. Was – außer einigen Vorzeigemodellen wie das Stadtentwicklungsgebiet Sonnwendviertel – ist seither eigentlich geschehen?
Von Favoriten aus ziehen die Pro-Erdoğan-Demonstranten in die Innenstadt. Dort werden Dschihadisten angeworben. Und am Donnerstag versuchte ein 21-Jähriger einen Passanten auf einem Schutzweg totzufahren. Der Bezirk ist riesig (quasi die viertgrößte Stadt Österreichs), hat viel Grün, einen wunderbaren Markt, den unnachahmlichen Eissalon Tichy, eine in die Jahre gekommene Fußgängerzone, viel Multikulti, billige Wohnungen und gute Anbindung an die City. Sie ist nur drei U-Bahnstationen entfernt. Gute Voraussetzungen also.
Doch Integrationsprobleme, Vandalismus und Drogenmissbrauch nehmen zu. "Bürgerliche" Firmen wie die Modetempel Tlapa und Fürnkranz haben ihre Pforten geschlossen. Leere Wettlokale und immer mehr "Fetzenstandln" dominieren. Die Region zeigt beispielhaft, was in der Stadtplanung versäumt wurde. Wer die Entstehung sozial deklassierter Gettos verhindern will, muss Leitbetriebe hineinsetzen. Bilbao hat sich durch sein von Frank Gehry entworfenes Guggenheim-Museum von der heruntergekommenen Industriestadt zur Kulturmetropole gewandelt. Das nennt man seither "Bilbao-Effekt".
Vertane Chancen
Warum wird (nach unwürdig langem Tauziehen) das "Haus der Geschichte" am Heldenplatz installiert? Statt immer nur Habsburg könnte es auch Favoriten sein mit seiner wechselvollen Arbeiter- und Zuwanderungsgeschichte.
Das "rote Wien" war einst vorbildlich in Sachen Bau- und Bildungspolitik. Heute gibt es viel unambitionierte Bauträgerarchitektur und Spekulation. Und wem um Himmels Willen fällt ein, einen Siebzigerjahre-Bau neben der Karlskirche um zehn Meter zu erhöhen?
Der Hauptbahnhof wiederum ist eine vertane Jahrhundertchance. Mit Arsenal, Belvedere und 21er Haus hätte man einen Kulturbezirk schaffen, außerdem Favoriten aufwerten und an die Innenstadt anbinden können. Das Gegenteil ist geschehen: keine Verbindung zwischen Alt und Neu, zwischen Kultur, Wohnen und Verkehrsknotenpunkt. Traurig auch, dass man das Fünfzigerjahre-Juwel – die alte Eingangshalle – geopfert hat.
Wo ist der Gestaltungswille der Sozialdemokratie geblieben? Man überlässt dieses Feld den Grünen, die massenhaft Radwege gegen die Einbahn für Fortschritt halten und ansonsten viel leeres Integrationsgesülze verbreiten.
Na toll! Warum nicht stattdessen Favoriten mit einem Museum zeitgenössischer Kunst aufwerten? Weil sich dorthin kein grüner Bobo verirrt? Selbst der nette Versuch, aus der alten Anker-Fabrik in Favoriten einen interessanten künstlerischen Hotspot zu machen, schläft langsam ein. Die versprochene U-Bahn kam nie, der anfängliche Aufbruchsgeist weicht leider gerade der Ernüchterung.
Bitte, liebes Rathaus, hört die Signale: Lasst eure Arbeiterbezirke nicht verkommen.