Meinung

Wo bitte geht’s hier zur Einklassenmedizin?

Auch in der Gesundheitsversorgung ist das Ende der Illusion vom Gratis-All-Inclusive-Staat gekommen.

Dr. Martina Salomon
über Gesundheitspolitik

Auch wenn Gesundheitspolitiker gerne das Gegenteil behaupten: Die Zweiklassenmedizin ist Realität. Wer nicht wochenlang auf eine Untersuchung warten will, muss zahlen. Oft wird dem Patienten gleich die Visitenkarte eines Privatarztes in die Hand gedrückt. Die besten Ärzte und Ärztinnen flüchten immer häufiger aus den öffentlichen Spitälern – entnervt von Überlastung, Dokumentationspflichten, unerträglicher Freunderlwirtschaft und Dienst-Radeln, die nicht aufs Patientenwohl achten. Der Patient? Viel zu wenig wird über ihn/sie gesprochen. Das ist nicht einmal nur eine Geldfrage: Im System steckt viel Verschwendung. Ja, die alte Leier, sie ist nach wie vor aktuell: Österreicher gehen zu oft ins Spital. Vor allem in Wien sind große Schwerpunktspitäler leicht erreichbar und werden auch bevorzugt von Migranten genutzt, die in ihren Herkunftsländern unsere Form der niedergelassenen Ärzte nicht kennen.

Was tun mit verwirrten Alten?

Gleichzeitig verlangt eine alternde Gesellschaft mit abnehmendem familiären Zusammenhalt andere Strukturen. Oft bräuchte es "nur" einen Sozialarbeiter und nicht das ganz große Gesundheitspaket, sprich: Rettungsauto holt desorientierten Opa ab, samt Spitalseinweisung mangels Alternativen. Multimorbide Menschen, die oft nicht einmal das ärztliche Gespräch verstehen, geschweige denn wissen, welche Untersuchungen und Medikamente sie bisher erhalten haben, werden oft unter- oder falsch behandelt, im Kreis geschickt und erhalten viel zu viele (oft gegenseitig unverträgliche) Mittel.

Immerhin gibt es hier einen Reformansatz: Er nennt sich auf gut neudeutsch "Primary Health Care", kurz PHC, und treibt seit geraumer Zeit die Ärzte auf die Barrikaden. Prinzipiell sind Zentren, in denen mehrere Berufsgruppen arbeiten, wünschenswert. Aber offenbar will man damit gleichzeitig die Kollektivvertragsfähigkeit der Ärzte aushebeln. Es soll Gesamtverträge für diese Zentren geben. Die Unterversorgung in manchen Bereichen, über die wir seit 20 Jahren reden, lösen sie nicht: Es fehlen Psychiater vor allem für Jugendliche, Kinder-Reha und Schilddrüsen-Einrichtungen. In Wien mangelt es mittlerweile sogar an Anästhesisten und Kinderärzten. Dazu kommen bundesweit explodierende Zahlen bei Demenz, Adipositas, Diabetes. Man sollte auch nicht extra erwähnen müssen, dass eine stark wachsende Stadt natürlich mehr Kassenärzte braucht. Stattdessen bläst man unfassbare Summen für das neue Krankenhaus Nord aus dem Fenster. Immerhin wird (unter heftigen Geburtsschmerzen) gerade versucht, worüber wir ebenfalls schon jahrzehntelang reden: Exzellenzzentren zu schaffen, statt alles in allen Spitälern (oft nur mittelmäßig) anzubieten.

Das heimische Gesundheitswesen ist super. Notfälle wie Herzinfarkte werden ohne Ansehen der Person umgehend und kompetent behandelt. Doch für alles andere stellen Sie sich bitte auf lange Wartezeiten ein. Auch in der Gesundheitsversorgung ist das Ende der Illusion vom Gratis-All-Inclusive-Staat gekommen.